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Ein letztes Mal „Pookepsie“

Heute startet die finale Staffel von „Ally McBeal“ (Vox, 22.10 Uhr). Die Kultserie liefert wieder provokanten Witz und schräge Vögel: Zum Abschied sitzt Dame Edna im Gerichtssaal

von HARALD KELLER

Serienfans sind großzügige Menschen. Zum einen entspricht dies schlicht ihrem Wesen, zum anderen verlangt es die Räson: Wer seine Lieblingsserie dauerhaft im Programm halten will, ist auf die größtmögliche Anzahl von Mitbeobachtern angewiesen. Keine Einwände also im Fernsehguckerland, als nach den Zuschauern auch das Rezensionswesen auf „Ally McBeal“ aufmerksam wurde und Menschen, die Serienprodukten sonst abschätzig begegnen, wahre Hymnen in die Tastaturen hieben.

Allerdings mochte sich manch Angehöriger des gemeinen gaffenden Volkes ein mildes Lächeln nicht verkneifen, wenn da der Einsatz von Computereffekten als Innovation gefeiert wurde, wo man doch dergleichen beispielsweise aus Sam Raimis „Hercules“ schon gewohnt war. Simpelte jemand über den unkonventionellen Umgang mit Musik, dann war klar: der Autor hatte nie Stephen Bochcos „Cop Rock“ gesehen, ein serielles Musical mit Originalkompositionen von Randy Newman. Ohnehin hegte schon die Serienheldin „Murphy Brown“, auch sie übrigens eine ledige berufstätige Frau mit gewissen Kapricen, ein Faible für Motown Soul und bekam sogar einen Gastauftritt der großen Aretha Franklin gewährt.

Trendige Konkurrenz

Eine kurze Spanne lang war „Ally McBeal“ schwer en vogue. Die Serie lieferte Stoff für den Party-Kleinschwatz, für Artikel in Lebensstil- und Damenblättchen. Jedoch sind unter modisch orientierten Menschen die Themen flugs abgenutzt, der Markt verlangt ständig nach Neuem. Das bot sich, als ProSieben „Sex and the City“ importierte. Die In-crowd, immer fiebrig vor Angst, einen Trend zu verpassen, wusste bereits Bescheid. In der Berliner Zeitung beispielsweise hieß es: „ ‚Sex and the City‘ ist besser als ‚Ally McBeal‘: New York ist interessanter als Boston, zweitens tragen Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte lässigere Kleider und drittens haben sie mehr Sex.“

Ohne Frage hat „Sex and the City“ drollige Momente, und wer wissen möchte, welche Edelschneider und Putzmacher vor gut zwei Jahren bei den skelettierten Stadtpomeranzen Manhattans tonangebend waren, wird hier erstbest beraten. Nebenbei fanden dankbare Schriftleiter Gelegenheit, wohlwollende Ankündigungen der Serie mit Annoncen der in der Serie namentlich genannten Stoffwechsler zu schmücken.

Aber besser als „Ally McBeal“? Wurde in „Sex and the City“ je der Herrgott höchstselbst verklagt? Wurde die Rechtmäßigkeit einer Organspende von Schwein zu Mensch verhandelt, eine Prozession der Ausgegrenzten abgehalten? Hoppla, in „Sex and the City“ gibt es ja keine Ausgegrenzten. Wohingegen sie in „Ally McBeal“ ein festes Zuhause haben.

Keine Freakshow

Diese Zuneigung für Außenseiter und Eigenbrötler ist typisch für den Serienautor und -produzenten David E. Kelley. Regelmäßig erzählt er von physisch und seelisch versehrten Menschen, in einem Medium, das ansonsten den makellosen Körper zelebriert und Abweichler in seine Freakshows verbannt.

„Ally McBeal“ ist eben auch integraler Bestandteil eines Werks, das mit der Anwaltsserie „L. A. Law“ begann und mit „Picket Fences“ und „Chicago Hope“ zur Reife gelangte. Der eigentliche Spaß an „Ally McBeal“ fängt da an, wo man Kelleys zentrale Motive wiederentdeckt. Schon in „L. A. Law“ gab es kleinwüchsige Anwälte, medizinische Grenzfälle, das Tourette-Syndrom und allerlei Verwirrspiele mit den Geschlechterrollen.

Kelley wiederholt sich nicht, er spielt bleibende Themen immer wieder neu durch, wofür ihm das institutionalisierte Für und Wider des US-amerikanischen Rechtssystems eine derart ideale Form bietet, dass er sogar in die Hospitalserie „Chicago Hope“ Gerichtsszenen einarbeitete. Die Belange der Klinik vertrat Alan Birch, genannt „der Aal“, und gespielt wurde er von Peter MacNicol, dem späteren John Cage aus „Ally McBeal“.

Bei aller Vorliebe fürs Spinöse bleibt Kelley stets der Wirklichkeit verhaftet. Wenn nun also Ally McBeal in der fünften Staffel unverhofft Mutter einer zehnjährigen Tochter wird, weil sie einst ein paar Eizellen veräußert hatte, dann ist auch das keine willkürlich ersonnene Schnapsidee, sondern bezieht sich auf ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen – die Suche der ersten Generation künstlich gezeugter Kinder nach ihren leiblichen Eltern.

Toleranz herausgefordert

In Ally McBeals Kollegen- und Freundeskreis wird es Veränderungen geben. Alt-Poser Jon Bon Jovi tritt auf als attraktiver Hausbesorger, eine Rolle, die bei „Murphy Brown“ Robert Pastorelli inne hatte. Christina Ricci setzt Fish und Co. als sirenenhafte Gegenanwältin zu. Der gleißendste Neuzugang aber ist Dame Edna, eine Maßnahme, mit der David E. Kelley einmal mehr die Toleranz des US-amerikanischen Publikums herausforderte. Dame Edna ist eine Kunstfigur des australischen Komikers Barry Humphries, eine ondulierte Fregatte mit mauvefarbenen Perücken und strassbesetzten Brillen, die sehr stilvoll eindeutig Zweideutiges von sich gibt – und beleidigt den Mund verzieht, wenn das Publikum sie falsch, also genau richtig versteht. Nicht nur tritt mit Edna in der Rolle der Claire Otoms ein Mann in Frauenkleidern auf, er strebt sogar eine Hochzeit an. Mit einem Mann natürlich, was sonst. Vielleicht waren es auch solche Dinge, Transvestiten, Frauen mit Hormonlanzen, das offene Ansprechen sexueller Bedürfnisse reiferer Menschen, die die Serie in den USA um ihre anfangs so große Gefolgschaft brachte.

Für David E. Kelley kein Grund zur Selbstzensur – auch in der von der RTL-Gruppe angekauften Highschool-Serie „Boston Public“ greift er immer wieder Reizthemen auf. Deshalb fällt der Abschied von „Ally McBeal“ nicht gar so schwer – David E. Kelleys hohe Erzählkunst wird fortgesetzt.

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