: Krise beendet
Polens Regierung zerbricht nun doch nicht am Streit um den Verkauf eines Warschauer Stromversorgers
WARSCHAU taz ■ Ganz Polen atmet auf: Die Regierung wird sich nicht auflösen. Damit ist für Erste der EU-Beitritt Polens gesichert. Der Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, trat gestern erstmals seit den tumultartigen Szenen in der letzten Woche zusammen und stimmte über die Abberufung des Parlamentspräsidenten Marek Borowski ab. Den Antrag hatte die rechtsradikale Partei „Liga katholischer Familien“ gestellt, da Borowski einen ihrer Abgeordneten aus dem Parlament hatte tragen lassen.
Gabriel Jankowski, bekannt für seine wütenden Trotzreaktionen gegen demokratische Entscheidungen, die ihm nicht ins Konzept passen, hatte am Mittwoch letzter Woche das Rednerpult im Sejm besetzt. Er wollte eine Parlamentsmehrheit dafür gewinnen, dass der Verkauf des Warschauer Stromversorgers Stoen an die deutsche RWE Plus AG rückgängig gemacht würde. Denn die Deutschen würden die Strompreise erhöhen, so argumentierte die mit 38 Abgeordneten im Sejm vertretene „Liga der katholischen Familien“, und dann würden sie allen, die diese Preise nicht mehr zahlen könnten, das Licht abstellen. „Nur ein Verräter konnte so einen Vertrag unterzeichnen“, warf Jankowski Privatisierungsminister Wiesław Kaczmarek vor. Als der Liga-Abgeordnete trotz mehrerer Ordnungsrufe weiterredete, stellte Borowski das Mikrofon ab und verwies Jankowski des Saales.
Am nächsten Morgen, Jankowski war aus dem Parlament getragen worden, kehrte keine Ruhe ein. Der radikale Bauernführer Andrzej Lepper und seine Mannen von der Samoobrona (Selbstverteidigung) stürmten nach vorne, als der Privatisierungsminister den Verkauf von 85 Prozent der Stoen-Aktien an RWE erläutern wollte. Sie eroberten das Rednerpult und schrien: „Schluss mit diesen Verbrechen! Pause! Pause!“ Der Minister stand sprachlos neben ihnen. Lepper brüllte: „Widerrufen Sie den Schandvertrag! Wir werden hier stehen, bis Sie den Verkauf rückgängig gemacht haben.“
Tomasz Nalecz, der diesmal die Sitzung leitete, verwies zunächst die Samoobrona-Abgeordneten des Saales, und als sie sich nicht rührten, schloss er die Sitzung bis zum Ende der Kommunalwahlen am Sonntag. Denn inzwischen war auch dem letzten klargeworden, dass die Tumulte im Sejm nichts anderes waren als kostenlose Wahlwerbung für die radikalen Parteien. Zum großen Krach in der Regierung kam es aber, als plötzlich auch Abgeordnete der Bauernpartei PSL, die gemeinsam mit dem Bündnis der demokratischen Linken (SLD) die Regierung stellt, die Abberufung von Borowski forderten.
Präsident Aleksander Kwaś- niewski riss der Geduldsfaden: „Wenn sich die Koalitionspartner bis Montag nicht einigen, empfehle ich, den Sejm aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben.“ Damit war klar, was drohte: Polens EU-Beitritt wäre gefährdet. Am Freitag rief Kwaśniewski Vertreter fast aller Parteien zusammen und diskutierte den schlimmsten Fall: Neuwahlen noch in diesem Jahr. Am Montag stimmten nach dreistündiger Debatte 286 Abgeordnete für Borowski, aber immer noch 105 gegen ihn. GABRIELE LESSER
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