: Kein Tod durch Arbeit
Kohle schippen, Öfen befeuern, verprügelt werden: Die swb legt eine Studie über die Zwangsarbeiter der Stadtwerke vor. Ergebnis: Sie waren „ein ganz gewöhnlicher Betrieb der Kriegswirtschaft“
50 Glas Eingemachtes, zentnerweise Kartoffeln, Brot und Obst sollten sie geklaut haben, auch Kleider und Anzüge. Da muss Friedrich Hopf, dem Direktor des Gaswerks, gehörig die Hand ausgerutscht sein. Er verteilte Ohrfeigen an die Beschuldigten, wies seinen Aufseher an, mit einem Gummiknüppel weiterzuprügeln. Anschließend sperrte Gaswerk-Direktor Hopf die Beschuldigten in einen stillgelegten Tunnel.
Offensichtlich nicht untypisch für die Situation in Bremen im Jahr 1944 – vor allem wenn die „Beschuldigten“ russische Zwangsarbeiter waren. Aber es hätte noch schlimmer kommen können, hat der Historiker Marcus Meyer in seiner Studie über die 600 Zwangsarbeiter der Stadtwerke herausgefunden: „So brutal sich das Vorgehen Hopfs auch anhören mag: Angesichts der drakonischen Strafen, die vielfach in ähnlichen Fällen verhängt worden sind, war das Vorgehen des Gaswerkdirektors noch milde“, schreibt Meyer in seiner Arbeit, die vom Rechtsnachfolger der Stadtwerke, der Bremer swb, finanziert wurde.
Natürlich gibt es nur wenige Firmen, die sich um die Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit so intensiv kümmern wie die swb. Aber natürlich kommt die Studie auch zum Ergebnis, dass die Stadtwerke „ein ganz gewöhnlicher Betrieb innerhalb der bremischen und der deutschen Rüstungswirtschaft waren“.
Bei VW seien angebliche Plünderer in exakt derselben Situation noch auf dem Werksgelände standrechtlich erschossen worden, betont der erst 27-jährige Meyer, der seit September 2000 an seinem Buch gearbeitet hat.
Meyer: „Die Stadtwerke haben eine Politik der funktionalen Fürsorge betrieben.“ Meyers Kernthese: „Zwangsarbeit ja – Tod durch Arbeit nein.“
In zwei Kartons hatte er den Grundstock für seine Arbeit gefunden: Eine fast vollständige Personalkartei mit den Namen der Russen, Franzosen, Belgier oder Ukrainer, die bei den Stadtwerken Kohle schippten, Öfen befeuerten oder als Tischler, Dreher oder Automechaniker schufteten – selten freiwillig, immer für wenig Geld und oft unter unmenschlichen Bedingungen. Bei den Stadtwerken habe es mehrere Übergriffe auf Zwangsarbeiter gegeben. Aber: Sie seien auch vor Gestapo und Wehrmacht geschützt worden. Der Grund: Die Arbeitssklaven aus den von Nazideutschland besetzten Ländern seien dringend benötigt worden, um Bremen weiter mit Energie zu versorgen. Zeitweise war jeder dritte Stadtwerkler ein Zwangsarbeiter. Immerhin hat Meyer den Geschundenen einen Namen gegeben: Im Anhang des Buches befindet sich eine Liste mit allen Zwangsarbeitern. Der jüngste von ihnen, Michael Korotkowitsch, stammte aus Russland und war 13 Jahre alt, der älteste, Johann Stoschtitsch, auch ein Russe, war 67, als er 1942 zu den Stadtwerken kam.
Noch 1933 hatte Bremen unter einer der größten Arbeitslosenquoten im Reich gelitten. Schon wenige Jahre später herrschte bereits eklatanter Personalmangel, vor allem in den „kriegswichtigen“ Bereichen bei der AG Weser, Focke-Wulff oder den Borgward-Werken. Den füllten die Zwangsarbeiter: Von 220.000 Beschäftigten in ganz Bremen waren im Dezember 1942 rund 28.500 Zivilausländer, 12.500 Ostarbeiter und 8.500 Kriegsgefangene. Kai Schöneberg
Marcus Meyer, „…uns 100 Zivilausländer umgehend zu beschaffen.“ – Zwangsarbeit bei den Bremer Stadtwerken 1939-1945“, Edition Temmen, 19,90 Euro.
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