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schröders auftrittDie Rede zum Fehlstart

Wer immer von Gerhard Schröder eine gute, vielleicht sogar eine große Rede erwartet, bleibt nach den Auftritten des Kanzlers regelmäßig mit zwei fundamentalen Fragen zurück: Wer, in drei Teufels Namen, setzt eigentlich jedes Mal das elende Gerücht in die Welt, diesmal werde Schröder ganz bestimmt eine grandiose Ansprache halten? Und was treiben eigentlich die Redenschreiber des Kanzlers? Man kann in ihrem eigenen Interesse nur inständig hoffen, dass sie für die gestrige Regierungserklärung nicht verantwortlich sind. Das wäre ein Entlassungsgrund.

Kommentar von JENS KÖNIG

Was sollte die Schröder-Rede nicht alles sein: das Aufbruchsignal für ein Kabinett, das ziemlich alt aussieht. Die große Philosophie einer rot-grünen Regierung, die sich schon kurz nach dem Wahlsieg im Klein-Klein zermürbt. Eine schonungslose Bestandsaufnahme der Probleme unseres Landes. So eine Art Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede also. Schröders Regierungserklärung war in sich konsequent: Sie hat keinen der Ansprüche eingelöst. Kein Blut, keine Tränen, bestenfalls ein bisschen Schweiß. Angstschweiß. Die ideale Rede zum Fehlstart von Rot-Grün II.

SPD und Grüne haben versprochen, das kommende Jahrzehnt prägen zu wollen. Gemessen an Schröders Worten wird das eine rot-grüne Epoche der Plattitüden. Gemeinwohl befördern, Chancen eröffnen, Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung organisieren – so hört sich das an. Und als Krönung des ganzen Eiapopeia das provinzielle Remake der alten Kennedy-Schnulze, demzufolge wir alle aufhören sollen zu fragen, was nicht geht, sondern dazu beitragen sollen, dass es geht. Man hat schon schlimmere Aufrufe gegen allgemeine Miesmacherei gehört – aber gleich danach kommt der müde Kanzlerappell an jeden Einzelnen von uns. Das ist Roman Herzog minus Ruck.

Die rot-grüne Regierung droht geistig in die Defensive gedrängt zu werden. Ihre einzige Hoffnung ist die Realität. An ihr wird der sozialdemokratische Traum (den SPD und Grüne gemeinsam träumen), mit mehr Staat und ein paar Reförmchen könne Deutschland endlich eine andere, gerechtere, ökologischere Republik werden, scheitern. Es wird in den kommenden vier schweren Jahren genügend Krisen geben. Dann schlägt wieder die Stunde des großen Meisters des Augenblicks. Da muss Schröder nicht reden, da kann er handeln. Da kann er das umsetzen, was er sich jetzt nicht zu sagen traut. Das ist für jemanden, der sich als Reformkanzler versteht, nicht viel. Aber besser als nichts.

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