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Fiddler on the Rail

Verfahren gegen Klaus den Geiger eingestellt. Der 62-Jährige sollte einen Polizisten geschlagen haben. Richterin räumt Absprachen von Beamten ein

„Bei dieser Einheit tauchen in allen Aussagen dieselben Textbausteine auf“

von HEIKE DIERBACH

Sein Beruf: Musiker. „Straßenmusiker“, betont Klaus von Wrochem gegenüber der Richterin. Als Demonstrationsmusiker kennen ihn die AKW-GegnerInnen. In dieser Funktion war der 62-Jährige aus Köln auch im März 2001 bei einer Castor-Blockade im Wendland dabei. Das Resultat: Eine gebrochene Geige und eine Anzeige wegen Beleidigung, Widerstand und Körperverletzung (taz berichtete). Gestern wurde das Verfahren gegen Klaus den Geiger vor dem Amtsgericht Lüneburg eingestellt.

Es ist der 27. März 2001 auf der Castor-Transportstrecke bei Wendisch Evern (Kreis Lüneburg). Von Wrochem nimmt zusammen mit einer Bekannten an einer Sitzblockade der gewaltfreien Initiative „X-tausendmal-quer“ teil und fidelt. Als die Aufforderung zum Räumen kommt, packt er die Geige in den Kasten und schnallt sie sich auf den Rücken. Dann, so seine Schilderung vor Gericht, stand er freiwillig auf und wollte die Schienen in die Richtung verlassen, in der sein Auto stand. Ein Polizist hinderte ihn daran und schubste ihn mit dem Rücken auf die Schienen. Deutlich hörte er es in seinem Geigenkoffer knacken. Daraufhin, so von Wrochem, sei er wütend geworden und habe den Polizisten „Arschloch“ genannt.

Staatsanwalt Jochen Kaup sah das aufgrund der ersten Aussage des Polizeibeamten anders: Von Wrochem, so sein Vorwurf, ließ sich erst von der Polizei wegtragen, dann wollte er plötzlich auf die Schienen zurückkehren. Als der Beamte ihn daran hinderte, beleidigte er ihn und „schlug in zwei Mal mit der flachen Hand auf den Brustkorb“.

Dies dementierte jedoch der Beamte gestern selbst vor Gericht. „Geschlagen wäre übertrieben. Es war eher geschoben“, sagte Polizeimeister Marcel Kelm aus Chemnitz. Außerdem habe er eine Schutzweste getragen. Aber er habe von Wrochem auch nicht geschubst: „Er hat überhaupt nicht auf den Gleisen gelegen.“ Von einem Geigenkasten habe er nichts gesehen.

„Wie kann es sein, dass sowohl Sie als auch Ihr Kollege zuerst unabhängig voneinander ausgesagt haben, es sei geschlagen worden?“, wollte Verteidiger Lemke wissen. Kelm konnte es sich nicht erklären. Die Vorsitzende Richterin Schmeer schon, denn es ist nicht ihr erstes Castor-Verfahren: „Bei dieser Chemnitzer Einheit tauchen in allen schriftlichen Aussagen dieselben Textbausteine auf.“ Auch, dass die Beamten sich in den Verhandlungspausen gegenseitig über ihre aktuellen Aussagen informieren, „werden wir nicht verhindern können“. Speziell der Beamte Kelm ist dabei für das Amtsgericht Lüneburg kein Unbekannter: Der Chemnitzer hat nach eigener Aussage im Frühjahr 2001 „mehrere“ Anzeigen wegen Beleidigung und Widerstand gefertigt.

Im Fall Klaus des Geigers aber ohne Erfolg: Nachdem eine weitere Zeugin dem Gericht bestätigt hatte, dass der Musiker auf die Schienen geschubst wurde und dabei seine Geige zerbrach, einigten sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gestern auf eine Einstellung des Verfahrens. Von Wrochem muss nur seine Anwaltskosten selbst tragen. 600 Mark hat er schon für die Reparatur seiner Geige bezahlt. Schließlich braucht er sie für seinen Beruf – und in elf Tagen soll der nächste Castor rollen.

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