Freude in Brüssel, Skepsis in Washington

Zypern, Kurdenfrage, Irak: In der Außenpolitik würde eine von der AK-Parti regierte Türkei flexibler, aber auch weniger berechenbar

ISTANBUL taz ■ Murat Mercan ist ein leutseliger Mann. Ausgebildet und politisch sozialisiert in den USA, entspricht er ganz und gar nicht dem gängigen Bild eines islamischen Fundamentalisten. Und doch ist der Ökonomieprofessor ein führendes Mitglied der religiös-konservativen AK-Parti, zuständig für Wirtschafts- und Außenpolitik. Sein Job im Wahlkampf ist es, genauere Antworten zu geben, wo sein Chef Tayyip Erdogan vage bleibt. Mercans Aufgabe ist schwieriger, denn die Partei will sowohl den armen Massen gerecht werden, als auch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) weiterarbeiten. „Die Korruption auszurotten“, sagt Mercan, werde sein wichtigster Schritt sein, damit kann der Staat am schnellsten Geld in die Kasse bekommen. Mit dem IWF werde man neu verhandeln, insbesondere will die AK-Parti die Streichungen der Agrarsubventionen teilweise wieder rückgängig machen.

Wie mit dem Internationalen Währungsfonds will die AK-Parti auch die Politik einer Annährung an die EU fortsetzen, denn „wir brauchen einen Erfolg in Kopenhagen, um dringend benötigtes ausländisches Kapital in die Türkei zu holen“. Deshalb könnte eine von der AK-Parti gebildete Regierung sich im Sinne der EU sogar als flexibler erweisen, als ihre Vorgängerin. Das gilt vor allem für das leidige Zypernproblem. Während Ecevit, der 1974 den Befehl zur Militärintervention in Zypern gab, und der Ultranationalist Bahceli sich sehr schwer tun, einem Kompromiss in Richtung eines einheitlichen zypriotischen Staates zuzustimmen, ist die AK-Parti wesentlich moderater. „Wir sind für das belgische Modell“, sagte Erdogan gegenüber der taz, und sein Experte Murat Mercan bestätigt, dass die AK-Parti eine Lösung wünscht.

Auch amerikanische Befürchtungen, die AK-Parti könnte sich nach einem Wahlsieg den islamischen Brüdern und Schwestern im Irak verpflichtet fühlen und die türkische Unterstützung für einen US-Militärschlag zurückziehen, hat die Partei längst ausgeräumt. Die US-Basis in Incirlik steht nicht zur Disposition, erklärte Erdogan unlängst, und Mercan sagte gegenüber der taz: „Diese Entscheidungen sind im Nationalen Sicherheitsrat längst gefallen, und wir werden sie nur noch unterschreiben.“

Um trotzdem Skepsis im Westen und beim eigenen Militär auszuräumen, wird darüber spekuliert, ob die AK-Parti, selbst wenn sie allein regieren könnte, nicht doch eine Koalition mit der CHP eingeht, um die Kontinuität der Außenpolitik auch personell mit Kemal Dervis und einem entsprechenden Verteidigungs- oder Außenminister zu demonstrieren. Darauf angesprochen, sagte Tayyip Erdogan: „Wir könnten mit jeder demokratischen Partei koalieren, natürlich auch mit der CHP.“

JÜRGEN GOTTSCHLICH