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Ehre für Erfurter Lehrer Heise

Der Lehrer Rainer Heise, der den Amokschützen von Erfurt in eine Kammer sperrte, wird heute in der Wiener Hofburg als Mann des Jahres geehrt. Zugleich ändert Thüringen das Gesetz, das dem gescheiterten Abiturienten den Schulabschluss vorenthielt

von CHRISTIAN FÜLLER

Er dürfte einer der umstrittensten Helden sein, die es gibt: Rainer Heise, Geschichtslehrer am Erfurter Gutenberg-Gymnasium, der dem jungen, noch schwer bewaffneten Attentäter begegnete und fragte: „Du, Robert?“ Lehrer Heise wird auch nach diesem Wochenende seinen zwiespältigen Ruf nicht verloren haben. In Wien lässt sich der 64-jährige „Held von Erfurt“ heute als einer der Männer des Jahres auszeichnen – mit einem Wimpel namens „World Award“. Den hängen sich Leute wie Luciano Pavarotti, Thomas Gottschalk und Bill Gates am alljährlichen „Tag der Männer“ um den Hals.

Rainer Heise nimmt den Preis in der Wiener Hofburg mit standesgemäßem Tantam entgegen – aus Trotz. „Mensch, so verkehrt war es also doch nicht, was du getan hast“, sagt der Mann, der seit dem 26. April dieses Jahres in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt wechselweise als „ein Held, ein Gerechter“ oder „ein Kriegsgewinnler der miesen Sorte“ (Thüringer Allgemeine) gefeiert wird.

Für die Jury um Maximilian Schell, José Carreras und Steven Spielberg ist Heise ein Held. Er habe den 17-jährigen Amokläufer Robert Steinhäuser, der in seinem Gymnasium in Erfurt bereits 16 Menschen erschossen hatte, „gestoppt“ und „weiteres Blutvergießen“ verhindert.

Das ist die eine Version, an der mindestens eines unzweifelhaft ist: Heise muss dem Mord-Schüler begegnet sein und aus einer Mischung aus Angst und Autorität angesprochen haben. Heise selbst sagt, er habe Steinhäuser gefragt, ob er der Schütze gewesen sei. Als der nickte, habe er gesagt: „Du kannst jetzt nicht einfach gehen, wir müssen darüber reden.“ Dann drückte Heise den Täter in eine Abstellkammer – und verriegelte die Tür. Wenige Minuten später richtete sich der Amokläufer selbst.

Angekreidet wurde Heise, das ist der zweite Teil der Heldengeschichte, dass er nach der Tat tagelang auf seinem Wohnzimmersofa saß und seine Geschichte den Medien erzählte. Die Rektorin der Erfurter Schule sagte dazu: „Wir hätten uns einen leiseren Helden gewünscht.“ Und Bundesinnenminister Otto Schily, der Heise zwischenzeitig für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen hatte, zog das Angebot flugs wieder zurück.

Heises Auftritt heute in der Hofburg ist der laute Teil der Amokbilanz. Der leise Teil fand gestern im Thüringer Landtag statt. Dort gab es eine Anhörung zum neuen Thüringer Schulgesetz, das bald eine Absurdität weniger enthalten wird. Der Attentäter hatte, da er am Abi gescheitert war, keinerlei Schulabschluss – denn Thüringen gibt Gymnasiasten, die vorzeitig von der Schule gehen, bislang nicht einmal den Hauptschulabschluss.

Fortan soll es das nicht mehr geben. Dann werden Gymnasiasten regulär nach der zehnten Klasse eine Prüfung absolvieren – und haben vorsorglich die Mittlere Reife. Der Name Steinhäuser fiel bei der Vorstellung des Gesetzes übrigens nicht. Kultusminister Michael Krapp, so hieß es, habe die Thüringer „Abi oder nichts“-Regel“ schon vor der Bluttat verändern wollen.

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