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Der Mann, der in die Kälte kam

„Antiamerikanismus in der einen oder anderen Form ist eine ständige Versuchung der deutschen Politik geworden“ (Herny Kissinger). – „Ich muss ihm sagen: Da liegst du falsch“ (Joschka Fischer).

aus Washington und New York PATRIK SCHWARZ

Joschka Fischers Bodyguard hat seine Schuhe ausgezogen. Auch die Waffe, sonst irgendwo am Gürtel über der Hüfte befestigt, stört beim Sitzen im Flugzeug nur. Dass Personenschützer sich für die politischen Missionen ihrer Chefs interessieren, ist eher selten. „Kaltfront“, steht über dem Artikel, in den der Mann mit den schwarzen Socken sich gerade vertieft hat. „Der Wind kommt von vorne, und zum Jahresende wird er immer kälter.“

Es ist keine Zeitschrift für internationale Politik, sondern ein Fachjournal für Radfahrprofis, was der Beamte da studiert. Doch die Erfahrung mit dem Gegenwind macht auch der Amerikareisende Joschka Fischer gerade. Fünf Wochen nach der Bundestagswahl ist die Verärgerung in Washington über den deutschen Anti-Bush-Wahlkampf noch immer groß – und die Kaltfront aus Washington stärker, als es sich manche rot-grünen Koalitionspolitiker bis zum 22. September vorstellen konnten. „Im Test: die Gegenmittel – 15 Wintertrikots mit Windschutzvorrichtung“, empfiehlt der Radratgeber. Für Joschka Fischer hat der Test wohl gerade erst begonnen.

Der Mann, der noch im Wahlkampf mit seiner inneren Zerrissenheit warb („Außen Minister, innen grün“), fühlt sich besser gerüstet denn je. „Ich habe vier Jahre im inneren Zwiespalt gelebt“, sagt er zur Begründung „ich habe mich gegen die Zwänge eines Außenministerdaseins aufgelehnt, daher kam ein gut Teil meiner schlechten Laune.“ Nach dieser Wahl soll alles besser werden. „Der Nichtaußenminister-Teil in mir wehrt sich nicht mehr, der hat die Segel gestrichen.“

In den neun Flugstunden bis zur Ankunft, wenn die Rücken zu schmerzen anfangen und die Stimmen matter werden, fällt gute Laune fast unanständig aus dem Rahmen. Joschka Fischer ist guter Laune, sehr guter Laune. Als alle Canossa-Scherze abgearbeitet sind, wendet er sich der Metapher vom Klima zu, sarkastisch natürlich. Klima? Wieso Klima? „Um Klimapolitik geht es gerade in Delhi.“ Doch während bei der Konferenz in Indien die globale Erwärmung im Mittelpunkt steht, bewegen sich die Temperaturen im deutsch-amerikanischen Verhältnis bekanntlich seit Monaten in die andere Richtung. Den genauen Tiefstand soll Fischer im Auftrag von Gerhard Schröder selbst erkunden. Der Außenminister als Klimaforscher.

Es hat nicht an Häme gefehlt, im Vorfeld des dreitägigen Besuchs in Washington und New York. Gerade mal einen Vertreter der Regierung Bush kriegt der Deutsche mit dem Titel eines Vizekanzlers zu sehen, und das ist auch noch sein Freund Colin Powell. Ganz oft schon hätten sie telefoniert, natürlich auch in der schwierigen Zeit nach der Wahl, hat Fischer in Berlin stets gerne erzählt. Jetzt sagt er das nicht mehr, zu offensichtlich stünde dann die Frage im Raum, warum er 7.000 Kilometer fliegt, um den einzigen Minister zu treffen, der ihm nichts Neues sagen kann.

Einen Fuß ins Weiße Haus zu setzen, etwa in das Büro der Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice oder des Vizepräsidenten Dick Cheney, wäre buchstäblich der erste Schritt zur Versöhnung gewesen. Doch kurz vor den amerikanischen Kongresswahlen am kommenden Dienstag, für die auch die Härte im Kampf gegen Saddam eine Rolle spielt, haben die Leute im Weißen Haus keinen Bedarf an Entspannungspolitik, weder dem Irak noch Deutschland gegenüber.

Fischers Beamte waren trotzdem bis zuletzt angewiesen, hart an der Schwindelei vorbei zu behaupten, eine „offizielle Anfrage“ bei „Condy“ und Cheney habe es nie gegeben. Die amerikanische Seite ist ungenierter und lässt durchblicken: deutsche Bemühungen um Termine gab es wohl, nur hatten sie keinen Erfolg.

So finden die 24 Stunden des Joschka Fischer in Washington in einem seltsamen Vakuum statt: Ohne Gegner versöhnt es sich schlecht. Kein Wunder, dass am Ende des ersten Tages von der guten Laune des Ministers nicht mehr viel übrig sein wird. Die geladenen ortsansässigen Korrespondenten erleben einen missgelaunten, erschöpften Joschka Fischer. „Muss ich das jetzt noch mal sagen? Lesen Sie doch meine letzte Rede!“, faucht er. Das Treffen mit Colin Powell war offensichtlich weniger herzlich ausgefallen, als es Fischers eingestreute Floskeln vom „warmen Willkommen“ suggerieren sollten. Sicheres Zeichen dafür ist auch das Schweigen der ministeriellen Helferlein, die sonst nicht müde werden, die ihnen aufgetragenen Episoden von kleinen Gesten der Zuneigung zu verbreiten.

Powell hat schon vor dem Gespräch aus seinem Gemütszustand keinen Hehl gemacht – auch wenn er sich sportlich gibt. „Ich werde nie den Ratschlag vergessen, den mir einer meiner Mentoren gab, als ich einmal zornig war: Steck’s einfach weg“, bekannte er in einem Interview zum Fischer-Besuch. Doch der Zorn über die Deutschen hat Fischers Mission nicht nur geschadet.

Bisher musste selbst der deutsche Vizekanzler bei seinen Besuchen damit rechnen, in der US-Presse kaum mehr Beachtung zu finden als der bulgarische Infrastrukturminister. Anders schaut es mit einem Vizekanzler aus, dessen Kanzler und Kabinettskollegen im Ruch stehen, Rabatz gegen Amerika gemacht zu haben. Sosehr die offizielle Politik ihn schneidet – die Medien zeigen sich durchaus interessiert. Das politische Washington an diesem Tag macht darum den Eindruck einer Stadt, in der zwar die meisten Türen verrammelt sind, die Bewohner dafür aber umso neugieriger durch die Vorhänge linsen, was für ein Geselle da durch die Straßen streicht.

Vor allem aber beschert die amerikanische Kultur der punditry, der prominent besetzten Expertenrunden, -kolumnen und -fernsehshows, dem Außenminister einen Gegner, der im Protokoll nicht vorgesehen war: Henry Kissinger, den legendären früheren US-Außenminister und Sichereitsberater. Der gilt heute als Gottvater des politischen Ratschlags und schleudert zu Fischers Ankunft Zornesblitze herab von seinem Berg des Weitblicks. Die deutsch-amerikanische Kluft habe mit Irak nur vordergründig zu tun, wetterte er via Washington Post. Vielmehr lasse sich Schröders Wahlerfolg wohl nur damit erklären, dass „Antiamerikanismus in der einen oder anderen Form eine ständige Versuchung der deutschen Politik“ geworden sei. Nicht irgendein Senator aus dem tiefen Süden spricht da, sondern ein deutschstämmiger Bannerträger der transatlantischen Freundschaft. Hat der Klimaforscher unterschätzt, wie nah an den Gefrierpunkt die Temperaturen gesunken sind?

Schon beim Redaktionsbesuch in der Washington Post kündigt Fischer an: „Ich schätze ihn ja sehr, aber wenn ich meinen Freund Henry das nächste Mal sehe, muss ich ihm sagen: Da liegst du falsch.“ Freund Henry sitzt derweil in New York – und wird beim Abendessen mit dem Finanzguru George Soros auf den Stuhl neben Fischer platziert.

Der nippelt nur an der Vorspeise aus Seafood, so vertieft ist er ins Gespräch mit dem Senior der US-Außenpolitik. „Yes, Henry, I understand your point, but …“ Für absurd hält er Kissingers Unterstellung, Deutschland komme ausgerechnet unter Rot-Grün vom europäischen Pfad der Westbindung ab, um auf einem „deutschen Weg“ nach nationaler Alleinglückseligkeit zu suchen. Deutscher Weg? „Forget it“, sagte der Außenminister neulich zu Schröders Wortschöpfung. Freund Henry wird es gern gehört haben.

Für Joschka Fischer selbst hat das Dinner im University Club an der 5th Avenue die Reise gerettet. Es geht eben nichts über ein gutes Gespräch unter Staatsmännern.

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