krankenkassen: Notoperation per Rotstift
Im alten China wurden Ärzte nur so lange bezahlt, wie die Menschen gesund blieben. Im neuen Deutschland wird an Kranken verdient. Seit Jahren steigen Kassenbeiträge und Kosten, ohne dass sich Gesundheit oder Lebenserwartung verbessert hätten. Die Bundesrepublik gibt nach den Vereinigten Staaten und der Schweiz prozentual das meiste Geld für Medizin aus – in den einschlägigen Statistiken zu Gesundheit und Wohlbefinden rangiert das Land im Vergleich zu anderen wohlhabenden Staaten im unteren Mittelfeld.
Kommentarvon WERNER BARTENS
Seit Jahren beißen sich Gesundheitsminister die Zähne an Lobbyisten aus. Politiker kommen und gehen – die Gesundheitsreform bleibt Stückwerk. Ulla Schmidt, der vor der Kabinettsbildung keine zweite Amtszeit zugetraut wurde, ist zur heimlichen Superministerin aufgewertet worden. Womit sie das verdient hat, steht in den Sternen: Sie hat lediglich altbekannte Forderungen auf den Tisch gelegt.
Die Ausgaben für Medikamente, Pflege und Behandlung sollen sinken, die Gewinnspanne der Apotheker und Pharmaunternehmen vermindert werden. Die Rolle des Hausarztes soll gestärkt, die Macht der Ärztefunktionäre wie auch die Ausgaben der Kassen begrenzt werden. Eine Nullrunde für Ärzte und Krankenhäuser ist geplant, die Kassenbeiträge werden eingefroren. Manches davon ist im Ansatz gut und richtig und klingt nach bitteren Pillen für die Standesvertreter. Doch Ulla Schmidt wird ihre Forderungen nicht durchsetzen können, zu stark sind die Interessenverbände in Medizin und Pharmaindustrie.
Das hat sich bereits bei dem Wechsel zu den privaten Krankenkassen gezeigt; hier musste die Ministerin zurückrudern: Statt wie geplant auf 5.100 Euro wird die Versicherungsgrenze nur auf 3.825 von derzeit 3.375 Euro Bruttomonatsgehalt angehoben. In diesem Jahr sind schon mehr als 100.000 Menschen zu den Privatkassen gewechselt. Es ist Zeit, diesen Menschen endlich reinen Wein einzuschenken.
Kein Politiker traut sich, zu sagen, dass die derzeitige Hochleistungsmedizin nicht mehr finanziert werden kann. Ein Mediziner-Bonmot drückt es so aus: „Wir haben nicht zu wenige Mittel, wir können nur zu viel bieten.“ Das ist das Ergebnis eines fragwürdigen Fortschritts. Was fehlt, ist ein Ziel. Schmidts Konzept ist höchstens eine Notoperation per Rotstift. Das kranke Gesundheitswesen aber braucht Visionen und eine brauchbare Definition von Wohlbefinden.
Der Autor ist Arzt und Redakteur der Badischen Zeitung
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