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Damit Hänschen was lernt ...

Frühe Trennung oder langes Zusammensein – was ist das Beste für SchülerInnen? Im taz-Streitgespräch diskutieren Schulamtsleiterin Ingeborg Knipper (CDU) und GAL-Schulpolitikerin Christa Goetsch über Formen und Auftrag von Schule

„Eine Steigerung der Abiturientenzahlen geht nur durch stärkere Integration“

von KAIJA KUTTER und SANDRA WILSDORF

taz hamburg: Bildungspolitik bringt die Menschen auf die Straße. Stört Sie das?

Ingeborg Knipper: Im Gegenteil, es ist gut, dass das Thema auch durch Pisa endlich größere Resonanz erfährt. Wir freuen uns, dass Hamburg trotz der schlechten Finanzlage im Bildungshaushalt nicht weiter spart. Wir haben keine neuen Sparauflagen, sondern einen garantierten Lehrerstellenplan bis zum Ende der Legislatur 2005.

Christa Goetsch: Natürlich wird gespart. 345 Lehrerstellen werden abgebaut. Auch Rot-Grün hatte nichts zu verschenken, aber das gab‘s noch nie.

Knipper: Es ist richtig, dass ein nicht finanzierter Überhang abgebaut wird. Insofern wird das laufende Schuljahr besonders bei einer Grippewelle im Winter schwer werden.

Viel Kritik ruft auch die Novelle des Hamburger Schulgesetzes hervor. Sie wollen zum Beispiel die Realschule ab Klasse 5 anbieten, um eine Alternative zur akademischen Bildung aufzuzeigen. Wollen Sie die Zahl der Abiturienten senken?

Knipper: Mit Sicherheit nicht. Aber gerade durch einen qualifizierten mittleren Bildungsweg können wir viele junge Menschen bewegen, noch weiter zu lernen und im Anschluss das Abitur zu machen. Wir brauchen mehr Abiturienten, aber auch mehr qualifizierte junge Menschen mit mittlerem Abschluss. Und wir müssen die Hauptschule stärken, damit die hohe Quote von elf Prozent junger Menschen ohne Abschluss niedriger wird.

Goetsch: Die Abiturientenquote ist in Deutschland viel zu gering. Das Land droht international den Anschluss zu verlieren. In Hamburg aber stehen wir im Vergleich besser da. Das ermöglichen Gesamtschulen, berufliche Gymnasien und die Aufbaugymnasien, die jetzt abgeschafft werden sollen. Ich kann mir eine Steigerung der Abiturientenzahlen nur durch stärkere Integration vorstellen und nicht durch schärfere Selektion. Ich bin Gegnerin der Aufteilung nach Klasse 4, weil ich selbst die positiven Erfahrungen einer integrierten Haupt- und Realschule (IHR, Amn. d. Red.) erlebe. Studien belegen, dass integrative Systeme individueller fördern und eine höhere Quote an höheren Abschlüssen haben. Das sehen wir auch an den Pisa-Siegern Finnland und Kanada.

Knipper: Pisa gibt eindeutig nicht her zu sagen, ein integriertes System sei besser. Es gibt auch Staaten, die gut abschneiden und gegliederte Systeme haben. Pisa sollte uns dazu veranlassen, Unterrichtsqualität und Methoden ins Auge zu nehmen. Es liegt nicht an der Qualität der Lehrer. Es liegt an der Art, wie wir Unterricht machen.

Wie stehen Sie zur IHR, die Haupt- und Realschule in einem ist?

Knipper: Wir haben in Hamburg nun mal zwei Systeme nebeneinander, daran wird sich auch nichts ändern. Das gegliederte wird von zwei Dritteln der Eltern gewählt, das integrierte von einem Drittel. Das kann sich ändern. Wir werden beide Systeme weiter anbieten. Es ist nicht unsere Absicht, die Gesamtschule kaputt zu sparen. Aber es ist nicht sinnvoll, innerhalb des gegliederten Systems noch einmal Integration zu machen. Wir lassen die IHR als Schulversuch bestehen, bis wir bei der Standardsetzung für die Abschlüsse eine Vergleichsbasis haben.

Goetsch: Es gibt fachliche Gründe, die gegen die Trennung von Haupt- und Realschule (HR) sprechen. Sie sagen, es wird bei keinem gespart. Es wird aber der IHR das Geld für die Differenzierung genommen, ohne die Integration nicht geht.

Knipper: Man muss fragen, was kommt bei beiden Schulformen bei gleichem finanziellen Input heraus?

Goetsch: Vergleichsarbeiten haben wir schon unter Rot-Grün eingeführt. Standardsicherung ist notwendig, machen die Pisa-Sieger alle, aber es ist kein Widerspruch zur Integration. Die Pisa-Sieger machen Integration und Standardsicherung und nicht Selektion und Standardsicherung. Und zur IHR: Dort werden die schwachen Schüler besser gefördert, und zwar signifikant. Das ist durch eine Studie belegt.

Knipper: Es handelt sich um eine behördeninterne Studie. Sie enthält positive und negative Feststellungen, die kann man für seine jeweilige Überzeugung nutzen. Ich interpretiere sie so: Es stimmt, dass schwächere Schüler besser gefördert werden. Allerdings nicht im Englischen. Und die Anzahl der Schüler ohne Abschluss ist nicht geringer. Die Hauptschüler fühlen sich dort besser. Das Hauptschulsyndrom verschwindet. Aber das Ergebnis ist auch nicht so, dass ich jubeln könnte. Realschüler werden dort nicht optimal gefördert.

Goetsch: Die Studie basiert auf Daten von LAU 9, die klar eine externe Untersuchung war. Zu den Realschülern: Wir haben bei IHR, aber auch bei HR das Problem, dass die Starken besser gefördert werden könnten. Aber sie sind an der IHR nicht schlechter. Zum Geld: IHR sind nicht teurer, weil es weniger Wiederholer gibt.

Knipper: Aber die Hauptschüler bleiben dort bis Klasse 10. Nichts dagegen, aber das kostet auch Geld. Insgesamt beansprucht die Besserausstattung der 16 IHR-Schulen 36 Lehrerstellen.

Goetsch: Die Schule ist unterm Strich nicht teurer. Ein Wiederholer weniger kompensiert die Mehrkosten von 29 IHR-Schülern. Und sie ist erfolgreich.

Knipper: Da warte ich auf die Anträge, dass IHR-Schulen Gesamtschulen werden wollen. Das Prinzip der Integration ist das Prinzip der Gesamtschule. Von mir aus kann es in Hamburg mehr Gesamtschulen geben.

Goetsch: Wo sie bei Gesamtschulen 10,3 Prozent sparen, wird Integration auch dort zum Teil unmöglich gemacht.

Knipper: Das war eine einmalige Kürzung. Die Gesamtschulen bekommen für ihren besonderen Auftrag mehr Geld, daran wird sich nichts ändern. Unterm Strich haben die Hamburger Gesamtschulen immer noch deutlich mehr als alle Gesamtschulen in der Bundesrepublik.

Goetsch: Im Rest der Republik haben die Gesamtschulen auch nur selten Oberstufen – in Hamburg ist das häufig. Und eben dort erreichen wir eine hohe Bildungsbeteiligung. Schüler, die in Klasse 4 keine Gymnasialempfehlung haben, kommen nach der Mittelstufe doch in die Oberstufe. Es gibt acht andere Bundesländer, auch CDU-regierte, die die Trennung von H und R aufgeben. Deshalb ist es ein schlimmer Schritt, wenn Sie im Schulgesetz die Trennung nach Klasse 4 in H und R vorsehen.

Knipper: Es kann nicht angehen, dass die Hamburger Firmen sich seit Jahren ihre qualifizierten Realschüler aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein holen. Deswegen müssen wir den mittleren Bildungsweg stärken. Es geht darum, möglichst viele Schüler möglichst früh auf den für sie richtigen Weg zu bringen.

Goetsch: Sie legen fest nach Klasse 4. Dieser selektive Blick auf die Schüler schadet der Pädagogik.

Knipper: Das legt nicht fest.

Goetsch: Sie legen fest, indem Sie sagen, dass diese Kinder, dahin, dahin und dahin gehören.

Knipper: Für diesen Zeitpunkt. Und nachher sind alle Möglichkeiten wieder offen.

Goetsch: Aber das ist finanziell eine Katastrophe. Und Sie produzieren Wiederholer.

Knipper: Da kann man sicher von Finnland etwas lernen. Die haben intensive Fördersysteme. Das müsste man durchrechnen.

Goetsch: Das Wiederholen ist dort abgeschafft worden. In Schweden auch.

Knipper: Wir haben einen ersten Schritt getan. Es gibt Nachprüfungen nach den Sommerferien für Schüler, die das Klassenziel nicht erreicht haben.

„Die Aufteilung nach Klasse 4 legt nichts fest, nachher sind alle Möglichkeiten wieder offen“

Goetsch: Eine Idee von Rot-Grün.

Knipper: Die wir übernommen haben und gerne auch noch ausbauen. Mich hat überzeugt, dass man mit relativ kleinen Gruppen versucht, Defizite auszugleichen, um das Klassenziel zu erreichen. Und ich glaube, dass wir in der Grundschule mit dem jahrgangsübergreifenden Lernen auch dieses Ziel verfolgen.

Warum wird die integrative Regelschule abgeschafft?

Knipper: Es wird nichts abgeschafft, bevor es etwas Neues gibt, was diese Aufgabe erfüllt. Schulsenatorin Raab ging damals davon aus, das integrative Regelklassen Sonderschulen überflüssig machen. Das Gegenteil ist passiert, wir haben mehr Kinder in Sonderschulen. Inzwischen liegen 62 zusätzliche Anträge für integrative Regelklassen vor, die alle nicht bedient werden konnten. Deshalb wollen wir Stellen in Förderzentren bündeln, damit mehr Schulen davon profitieren.

Goetsch: Wir sollten IR-Klassen nicht abschaffen, sondern weiterentwickeln.

Knipper: Wir wollen Kapazitäten bündeln und gezielter einsetzen, damit so viele Kinder wie möglich im normalen Schulsystem bleiben können. Sonderschulen sind die teuersten.

Also bleiben die IR-Klassen erst mal bestehen?

Knipper: Ja! Ich denke, dass das Modell der Förderzentren im nächsten Jahr entwickelt wird, und dass wir in einer Region vielleicht auch schon zum 1. August beginnen können. Aber nur mit dem Einverständnis der Schulen.

Viele Lehrer klagen, sie seien überlastet und könnten nicht mehr. Nehmen Sie das ernst?

Knipper: Ja, sehr. Es gibt Lehrer, die mir glaubhaft versichern, dass sie von 45 Minuten nur 20 Minuten unterrichten können. Eltern müssen ihre Erziehungspflichten ernster nehmen. Ich appelliere aber auch an die Lehrer, Dinge, die nicht zu ihrem eigentlichen Beruf gehören, abzugeben. Lehrer können als erste wahrnehmen, was im häuslichen Umfeld eines Kindes nicht stimmt. Aber sie sind nicht dazu da, alle diese Probleme zu lösen. Da müssen wir die Sozialdienste in Anspruch nehmen.

Goetsch: Wir haben hier in der Stadt nicht nur Eltern, die in der Lage sind, wohlerzogene Kinder abzugeben. Wir haben eine ganze Reihe von Schulen in sozialen Brennpunkten. Und Schule hat einen Bildungsauftrag, der Erziehung einschließt.

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