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Die dünne Luft für Amateure

Mitten in Moabit können Freizeitsportler ein Höhentrainingslager absolvieren. Dem Übungsraum wird Sauerstoff entzogen und durch Stickstoff ersetzt. Beim Ausdauertraining erhöht das die Pulsfrequenz und den Anteil roter Blutkörperchen

von ANDREAS RÜTTENAUER

Es ist eines der Zauberworte, wenn versucht wird phänomenale sportliche Erfolge zu erklären: Höhentraining. Es vermehrt den Anteil der roten Blutkörperchen, die für den Transport des Sauerstoffs im Blut zuständig sind. Nicht umsonst tummeln sich etliche Kaderathleten während der Saisonvorbereitung auf Sportanlagen im Hochgebirge. Das ist natürlich nicht ganz billig. Deshalb gibt es schon seit langem Versuche, das Höhenklima im Flachland zu simulieren.

Beinahe legendär ist die Unterdruckkammer im DDR-Leistungszentrum Kienbaum. Aus dem Trainingsraum wurde Luft abgepumpt. Von der Kammer wusste außer Funktionären, Spitzensportlern und Beschäftigten des Leistungszentrums niemand. Erst nach der Wende wurde dieses wohl gehütete Erfolgsgeheimnis des DDR-Sports gelüftet. Seitdem allerdings ist die Kammer außer Betrieb.

Das Thema Höhentraining im Flachland fasziniert jedoch weiterhin. Seit mehr als zwei Jahren gibt es auf dem Gelände des Sportforums Hohenschönhausen zwei Höhentrainingskammern, die vor allem von Leistungssportlern genutzt werden. Zwar sollen mit diesem Angebot der Firma Tosma auch Freizeitsportler angesprochen werden, doch die 12 Quadratmeter kleinen Übungsräume wirken ein wenig zu spartanisch, um bei der eventverwöhnten Fit- und Wellnessgemeinde großen Zuspruch zu finden.

Für die gibt es seit ein paar Tagen Berlins größte Höhentrainingsanlage. 43 Quadratmeter ist sie groß und „einzigartig in ganz Deutschland“, wie Horst Zetsche schwärmt. Der ehemalige Badminton-Spieler betreibt in Berlin mit dem Preußenpark in Lankwitz und der Sportoase in Moabit zwei Racketsportanlagen. Jetzt will er in der Fitnessszene neue Maßstäbe setzen. 250.000 Euro hat er nun in die Sportoase investiert, allein 100.000 für die die Höhenluftanlage. Die funktioniert ähnlich wie die im Sportforum. Der Luft wird Sauerstoff entzogen, der durch Stickstoff ersetzt wird. Die Druckverhältnisse bleiben unverändert, so dass die Sportler nicht hinter dicken Betonmauern radeln, steppen und rudern müssen, sondern in einem Raum, den rein äußerlich nichts von einem gewöhnlichen Fitnessstudio unterscheidet.

Noch ist nicht viel los im neuen Trainingscenter mit Berlins dünnster Luft. „Das geht jetzt in den nächsten Wochen los“, entschuldigt sich Zetsche. Doch die ersten Anfragen gibt es bereits. Da ist der in die Jahre gekommene Squasher, der immer den dritten Satz verliert, weil er konditionell abbaut. Da ist der junge Mann, der mit seinem Gewicht nicht zufrieden ist. Und da sind ältere Sportler, deren Gelenke nicht mehr voll belastbar sind.

Sie alle wollen vom Hauptvorteil des Höhentrainings profitieren: Mit weitaus geringeren Trainingsintensitäten werden hier dieselben Ergebnisse wie unter Flachlandbedingungen erzielt. Herrschen im Trainingsraum Sauerstoffverhältnisse wie auf einer Höhe von 2.500 Metern erhöht sich die Pulsfrequenz erst einmal um 10 bis 15 Schläge pro Minute. Schon bei relativ geringer Belastung erreichen die Sportler die vorher in einem sogenannten Cardiocheck ermittelte optimale Herzfrequenz. Das leuchtet ein. Auch Zetsches Selbsttest ist überzeugend: „Ich habe in der letzten Woche drei Kilo abgenommen.“

Doch neben jedermann sollen auch Spitzensportler vom Berliner Hochgebirgstraining profitieren. Vor allem die, die nicht in den Genuss von Kaderförderung kommen, will Zetsche als Kunden gewinnen. Zehn Trainingseinheiten kosten fürs Erste 99 Euro, was der Fittnessunternehmer für äußerst billig hält, schließlich entfallen die Reisekosten ins Gebirge. Dann erzählt er noch von zwei Trekkingtouristen, die sich für November angemeldet hätten, um sich auf eine Kilimandscharo-Expedition vorzubereiten. Er könne sich vorstellen, die Anlage „auf 4.000 Meter einzustellen“, und eine Gruppe einfach darin übernachten zu lassen. Zetsche ist nicht zu bremsen. Er vertraut auf die Wirkung des Zauberworts Höhentraining.

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