: Ein Kabinett auf tönernen Füßen
Seit dem Alleingang einer Abgeordneten der Freiheitsunion in Sachen Fluthilfe ist Tschechiens Regierung in einer Krise. Es wird über einen Koalitionsbruch spekuliert. Derweil sondiert Regierungschef Špidla eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten
aus Prag ULRIKE BRAUN
Gerade zwei Monate im Amt ist die tschechische Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Vladimír Špidla in einer ernsthaften Krise. Schon wird von einem Zerfall geredet. Der Vorschlag der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der so genannten Freiheitsunion, Hilfen für Hochwasseropfer durch Steuererhöhungen zu finanzieren, zerbrach am Veto der stellvertretenden Parlamentspräsidentin und Vorsitzenden der Freiheitsunion Hana Marvanová.
Den Beschluss Marvanovás bezeichnete Špidla als infantil. „Die Freiheitsunion hat sehr ernsthaft den Koalitionsvertrag gebrochen“, sagte Špidla. Nur wenn Marvanová gehe, dann „ist es möglich, mit einer Koalitionsregierung zusammen mit der Freiheitsunion weiterzumachen“, sagte Špidla.
Selbst in den eigenen Reihen ist Marvanová zum schwarzen Schaf geworden. Die Freiheitsunion hat ihr ein Ultimatum gestellt, sich so schnell wie möglich zu überlegen, ihr Parlamentsmandat niederzulegen. Dabei hat es Marvanová, wie sie sagt, nur gut gemeint: „Ich habe einen unbefriedigenden Vorschlag erhalten, dem ich nicht zustimmen konnte.“ Weiter gibt sich die blonde Enddreißigerin entsetzt. „Das habe ich nicht erwartet, das war für mich ein Schock“, reagierte Marvanová auf die Forderungen Špidlas und ihrer Parteikollegen.
Die tschechische Regierungskoalition hat eine Mehrheit von einem Abgeordneten, deshalb ist jede Stimme wichtig. Jetzt wird bereits in Tschechien spekuliert, wie lange die Regierung Špidla überhaupt durchhält. Schon zu Beginn der neuen Amtszeit unkte man, man müsse nur bis Dezember warten und bei der Entscheidung über den neuen Haushalt werde sich die Zerbrechlichkeit der neuen Špidla-Regierung zeigen. Schon jetzt wird gemunkelt, dass Špidla und seine Sozialdemokraten sich lieber auf die stille Unterstützung der Kommunisten verlassen werden als weiter auf eine äußerst fragwürdige Regierungskoalition.
Aber was ist eigentlich passiert? Marvanová hat durch ihre Entscheidung bestätigt, dass sie nicht gewillt ist, jedem Vorschlag der sozialdemokratischen Regierung zuzustimmen. Die Frage bleibt: Was jetzt? Soll man die sture Abgeordnete bestrafen, indem man sie von ihrem Posten entfernt, den sie im Rahmen der Koalitionsverhandlungen erhalten hat, oder soll man noch mit ihr verhandeln? Die Tschechen glauben, dass die realistischere Lösung sei, die Regierung umzubilden, selbst dann, wenn das mit stiller Unterstützung der Kommunisten geschehen sollte.
Selbst Premier Špidla hat schon angekündigt, dass er eine Minderheitsregierung führen könnte, die sich auf die Unterstützung sämtlicher Fraktionen im Parlament, mit Ausnahme der von Václav Klaus geführten ODS, verlassen könnte. So traf er sich bereits mit dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Miroslav Grebeníček. „Für alle Fälle haben wir unsere Telefonnummern ausgetauscht“, meinte Grebeneníček nach dem Treffen und schloss eine direkte Unterstützung einer sozialdemokratischen Minderheitenregierung nicht aus.
In der Sozialdemokratie findet die Variante einer stillen Zusammenarbeit mit den Kommunisten durchaus ihre Befürworter. Schon kurz nach den Wahlen hatte ein Teil der Partei dazu aufgerufen, sich den Kommunisten gegenüber zugänglicher zu verhalten. Premier Špidla aber setzte auf die Christdemokraten und die Freiheitsunion. Wohl zu Unrecht, wie die jüngste Krise zeigt. Und so erwarten Beobachter der tschechischen politischen Szene, dass die Tage der jetzigen Koalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und Freiheitsunion gezählt sein dürften.
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