: Erdrutschsieg in der Türkei
Mit 36 Prozent der Stimmen erreicht die konservativ-islamische AKP im Parlament die absolute Mehrheit. Sozialdemokraten zweite Kraft. Die alten Parteien scheitern an 10-Prozent-Hürde
ISTANBUL taz ■ Klarer Sieger der türkischen Parlamentswahlen ist die konservativ-religiöse „Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei“ (AK Parti) mit ihrem Parteichef Recep Tayyip Erdogan. Nach Auszählung knapp der Hälfte aller Wahlbezirke zeichnet sich ein in dieser Höhe selbst von der AK Parti nicht erwarteter Erdruschsieg ab.
Außer der AKP, die rund 36 Prozent der Wählerstimmen erhielt, wird voraussichtlich nur noch die sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP) mit rund 18 Prozent ins Parlament kommen. Alle anderen 16 Parteien scheitern an der 10-Prozent-Hürde, die das türkische Wahlgesetz vor einen Einzug ins Parlament setzt. Damit bewahrheiten sich die düsteren Voraussagen für alle drei Regierungsparteien, die geschlossen in die außerparlamentarische Opposition abwandern.
Für die Partei des bisherigen Regierungschefs Bülent Ecevit stimmten gerade mal noch 1,5 Prozent, die ANAP mit dem Europaminister Mesut Yilmaz kommt auf 4,5 Prozent, und die Ultranationalisten der MHP liegen bei 8,5 Prozent.
Ebenfalls nicht ins Parlament kommt die pro-kurdische Dehap, die entgegen ihren Erwartungen bei rund 7 Prozent hängen blieb und damit ungefähr das Ergebnis der letzten Wahlen erreichte. Der populistische Medienbaron mit seiner Genc Parti scheiterte trotz Einsatz erheblicher Geldmittel ebenfalls.
Nach den bisherigen Ergebnissen wird die AK Parti rund 360 Sitze der insgesamt 550 Sitze im Parlament erhalten und damit zwar die absolute Mehrheit haben, aber mit knapp 20 Sitzen unter einer verfassungsändernden Mehrheit bleiben. Da der Parteichef der AK Parti, Recep Tayyip Erdogan, aufgrund einer früheren Verurteilung wegen „Volksverhetzung“ nicht fürs Parlament kandidieren durfte, der Ministerpräsident aber zwingend aus den Reihen des Parlaments gewählt werden muss, muss die AK Parti nun ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten nominieren. Im Vorfeld der Wahlen hatte es einen Streit zwischen der AK Parti und Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer gegeben, bei dem es darum ging, wen der Staatspräsident mit der Bildung der Regierung beauftragen muss.
Die kemalistische Elite der Türkei, einschließlich des Militärs, muss sich auf eine Alleinregierung der ungeliebten religiös-konservativen AK Parti mit dem umstrittenen Parteiführer Tayyip Erdogan im Hintergrund einstellen. JÜRGEN GOTTSCHLICH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen