piwik no script img

Hoppler aus dem Sarg

Grabpflege im November könnte so schön sein – wären da nicht diese Zwerghasen

Ehe ich die Gesamtlage erfassen konnte, hallte ein trockener Schuss über den Friedhof

Ja, auch ich fordere Freiheit auf deutschen Friedhöfen! Denn auf dem Grab von Onkel Siggi liegt kein Segen. Wir hatten ihn nach 87 zuletzt eher grämlich dementen Jahren und einer finalen Doppelportion Rahmgulasch endlich unter die Erde gebracht, als der Ärger richtig losging. Zum Kummer meiner Tante Hilde fraßen die Karnickel alle Vergissmeinnicht ab. Ich kontaktierte die Friedhofsverwaltung, wurde aber von einem jovialen Bariton beruhigt: „Die knallt unser Kammerjäger demnächst alle weg.“

Drei Wochen später hatten die Viecher auch sämtliche Kalla verputzt und die neue Kantine durch rege Stoffwechseltätigkeit markiert. Das Grab sah aus wie nach zehn Wochen Chemotherapie. Meine Tante weinte bitterlich. Ich orderte, beraten von einer Spitzenfloristin, für 150 Euro angeblich karnickelresistente Strünke. Das Geld war in den Wind geschossen.

Die Drogistin an der Ecke empfahl Fenchel: „Da kotzen die garantiert.“ Von wegen. Aber Tante Hilde bekam Bluthochdruck. Auf bohrende Fragen nach dem Kammerjäger murmelte man in der Friedhofsverwaltung plötzlich irgendetwas von „Sparbeschlüssen“ und „Personalengpässen“. Hab ich schon erwähnt, dass Tante Hilde meine Lieblingstante ist?

Jetzt ging’s aufs Ganze, jetzt half nur noch schweres Geschütz. Ich schwankte lange zwischen Pumpgun und Arsen, fuhr dann aber doch zum Baumarkt, wo ich in der Gartenabteilung ein Walnussbäumchen erstand. Ich schob die Krone durch das geöffnete Verdeck meines Kleinwagens, Tante Hilde samt Spaten auf die Rückbank und zockelte Richtung Friedhof. Mit Tempo 20. Im Fahrtwind rauschte das Blattwerk, hinter uns hupte ein kilometerlanger Autokorso. Tante Hilde schnaubte in ihr Taschentuch und murmelte: „Junge, was wird das den Siggi freuen, ne, was wird ihn das freuen.“ Und es war ja auch alles bestens und sah gut aus, wie das Bäumchen da frisch angegossen laubwerkte und Siggis Kopfende schirmte und beschattete. Hildchen war glücklich.

Bis dann dieser Brief im Kasten steckte: „ … weisen wir darauf hin, dass laut § 22a der Satzung der Laatzener Friedhofsordnung die Baumbepflanzung Ihrer Grabstätte die zulässige Außenbegrenzung um 15 Zentimeter überschreitet.“ Man drohte der unbescholtenen Frau mit der kostenpflichtigen Abholzung, wenn der Baum nicht bei Wintereinbruch entfernt oder korrekt umgesetzt worden sei. Tante Hildes Schilddrüse schwoll auf Tennisballgröße.

Am nächsten Abend, es goss in Strömen, stand ich knieftief im Morast und hebelte fluchend im Wurzelwerk des wirklich prächtig angewachsenen Walnussbaumes, um ihn besagte 15 Zentimeter zu verrücken. Mein Spaten war gerade auf einen Resonanzkörper (Siggi?) gestoßen, als zwischen den Regenschlieren ein gebücktes Weiblein heranwankte. „Hab meinen Ollen ooch ausjraben müssen“, kollerte es durch die lückenhaften Palisaden der Alten, „leßtes Jahr. ßwanzig ßetimeta ßu lang. Nich mein Oller, det Jrab, mein ich.“ Ich setzte den Spaten ab und fragte, was sie bei dem Sauwetter hier mache. Man könne sich ja den Tod holen. Da kicherte die Alte, das linke Augenlid verschwörerisch über die Pupille stülpend: „Ich wohn praktisch hier, muss ja aufm Kiwief sein – wejen de Karnickel.“

Ich nickte und wollte mich gerade wieder an die Arbeit machen. Da echote drei Gräberreihen weiter ein leises „Ping, Ping, Ping“ herüber. Es klang wie Eisen auf Stein. Dazu drang ein monotoner Singsang durch die einsetzende Dämmerung. „Das is Fritze Krapf, der Steinmetz“, sagte das Weiblein und begann die Melodie mitzusingen: „Ich hau den Stein, ich hau den Stein, / ich hau da eure Namen rein. / Von bis A bis Z von Z bis A, dann fang ich vorne an, / denn bei mir kommt jeder mal, denn bei mir kommt jede mal, / bei mir kommt jeder einmal dran. Irgendwann.“ Der müsste doch längst Feierabend haben, warf ich ein. „Der iß en bißchen verrückt, aber en großen Künstler. Hat Friedhofsverbot, weil seine ßteine ßwei oder drei Millimeter zu dick ßind.“ – „Und dann macht er heimlich Nachtschicht“, fragte ich. „ßwatzarbeit“, keckerte die Muhme. Ich starrte kopfschüttelnd in die Finsternis und griff zum Spaten.

Nach drei Stichen hatte ich den Walnussbaum endgültig freigelegt, aber leider auch ein kokosnussgroßes Loch in Onkel Siggis Sarg gestochen, aus dem jetzt ein fettes Kaninchen sprang. Wenn das Tante Hilde wüsste. Der Zwerghase hoppelte mit Karacho auf die Alte zu, die kreischend ihre Handtasche hochriss und wie von der Tarantel gestochen begann, auf das Kleintier einzuschlagen. Von hinten sah ich den Steinmetz heranspringen. Auch er schrie und schwang Hammer und Meißel hoch über dem Kopf, um ebenfalls das Karnickel, oder etwa die Muhme …, mich …? Doch ehe ich die Lage erfassen konnte, hallte ein trockener Schuss über den Friedhof. Das Kaninchen brach zusammen. Hinter einem Ginsterbusch erschien der Kammerjäger. „Blattschuss“, sagte er. Dann zeigte er auf Siggis ramponierten Sarg. „Das wird teuer.“ Meiner Tante hab ich lieber nichts erzählt. Es brächte sie ins Grab. MICHAEL QUASTHOFF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen