: Geschwätzige Räuberklamotte
Ein Politdrama ist versprochen, aber dann hagelt es Klischees: Am Theater Basel wagt sich der junge Regisseur Rafael Sanchez mit „Homebody/Kabul“ nach Afghanistan. Doch dann kann er sich zwischen Persiflage und Ernst nicht entscheiden
von DOROTHEA MARCUS
Die Geschichte ist schon oft erzählt worden: Tony Kushner, amerikanischer, vielfach preisgekrönter Gegenwartsautor, schrieb kurz vor dem 11. September 2001 „Homebody/Kabul“, ein Stück über Afghanistan. Kurz nach dem 11. 9. wurde es auf dem Broadway uraufgeführt, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Amerikaner Kabul bombardierten – flugs wurde es „visionär“ genannt und zum „meistbeachteten Stück des Jahrzehnts“ in der New York Times.
Unter diesem Vorzeichen des politisch aktuellen Stoffs hat sich jetzt das Theater Basel, in Koproduktion mit dem Maxim Gorki Theater in Berlin, an die deutschsprachige Erstaufführung gewagt. Vertrauensvoll wurde sie in die Hände des 27-jährigen Schweizers Rafael Sanchez gelegt, der auch schon die „Bombsongs“ über einen Selbstmordattentäter von Thea Dorn im Maxim Gorki Studio Berlin inszeniert hat.
„Homebody“ (auf Deutsch: „Stubenhocker“) ist die Rolle einer frustrierten Engländerin Mitte 40, die von der Fremde träumt. Katja Reinke in lachsfarbenem Ladydress beherrscht wunderbar ihre verschachtelten selbstkritischen Reflexionen, die sie mit dem Reiseführerwissen über 5.000 Jahre afghanischer Geschichte verknüpft. Unter dem überdimensionalen Heldenporträt eines milde blickenden Mullahs entzünden sich ihre liebeshungrigen Fantasien: Afghanistan, die perfekte Projektionsfläche für echtes Leben und Leidenschaft.
Für eine dichte Stunde schafft Reinke es, von nichts als einer Wasserflasche unterstützt, das westliche Bewusstsein zwischen Hysterie, Schuldbewusstsein und Sehnsucht in ihre vibrierende Stimme zu legen. Doch der zweite Teil wächst sich zur schieren Theaterkatastrophe aus. „Homebody“ ist nämlich in Afghanistan verschollen, und ihre Familie hat sich nach Kabul begeben, auf die unsäglich ethnokitschige Bühne von Ricarda Beilharz aus Filz, Wolldecken und Paschtunenzelt. Während der Vater (herausragend: Andrea Bettini) langsam in die rauschhaften Freuden des Heroinkonsums strudelt, sucht die orientierungslose Tochter (eine schnoddrige, unkorrumpierbare Sandra Hüller) nach der Wahrheit für das Verschwinden der Mutter, die vielleicht von einer monströsen Talibanmeute zerfetzt, vielleicht aber auch in ihrer Schwärmerei unter einer Burka abgetaucht ist.
Kushner ist selbst niemals in Afghanistan gewesen – vermutlich, um nicht in den Verdacht zu geraten, pseudodokumentarisches Realtheater zu machen. Stattdessen gibt er seine geschwätzige Räuberklamotte im Fernsehformat als „Politdrama“ aus. Tatsächlich ist es aber eine Aneinanderreihung von Klischees, in der bewusst viele Interpretationsebenen nebeneinander existieren. Ohne weiteres könnte man „Homebody/Kabul“ zum Beispiel als Propagandastück zur kriegerischen „Rettung Afghanistans“ verstehen, damit dort in Zukunft naive Westfrauen beruhigt durch die Straßen laufen können – so ist es in Amerika teilweise auch verstanden worden.
Gleichzeitig benutzt Kushner die ironische Distanz aber auch wie ein wohlfeiles Alibi, um einen romantisierenden Blick auf das Unbekannte vorzuführen. Verschweigen will der bekennende Amerikakritiker Kushner auch nicht, dass die Taliban ein künstliches Konstrukt des Westens sind, der nun seine eigenen Auswüchse bombardieren muss – nur dass dies zur Zeit, als er das Stück schrieb, eben noch unter Clinton geschah. Doch es ist schlichtweg unmöglich, die westliche Haltung einzunehmen, sie zugleich gehässig vorzuführen und außerdem auch noch den Anspruch zu haben, enzyklopädische Wahrheiten über Afghanistan zu erzählen.
Regisseur Rafael Sanchez hat sich vermutlich in die Vorstellung verrannt, er könnte die Schwächen in Kushners Stück durch Persiflage kaschieren. Redlich gibt er sich Mühe, die ironische Distanz auf die Spitze zu treiben – eine Gratwanderung, die gründlich misslingt. Anstatt das Stück auf die unmittelbare Gegenwart nach dem 11. 9. zu befragen, befolgt er den Text, der 1999 endet, bis in die kleinste Regieanweisung. Dazu setzt er Taliban-Witzfiguren, die zu verpoppten Araberrhythmen und Dallas-Hymnen zappeln und mit leeren Burkalarven Discotänzchen zwischen feinstes arabisches Kachelwerk legen. An der Wand hängt ein Werbeplakat für einen Taliban-Fitnesscenter, auf dem sich halb nackte, schnurrbärtige Araber zu westlichen Rambos stählen – das erinnert an jene nach dem 11. 9. kursierenden Internetcomics von Ussama Bin Laden, der George W. Bush von hinten vögelt: Antiterrorkampf im Trashformat, hohl, ohne jeden Erkenntniswert und von den politischen Ereignissen gnadenlos überholt. Und so ist ein peinlich berührender Abend mit einem diskriminierenden Gestus aus dem Stück geworden. Das Beste an ihm sind die Schauspieler, die Armen können wirklich nichts dafür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen