BEIM SEXUALSTRAFRECHT HAT GEFÜHLSPOLITIK BEI ALLEN PARTEIEN VORRANG
: Verantwortung dem Täter

Dass die Union den bevorstehenden Prozess um den mutmaßlichen Mörder der achtjährigen Julia, Thorsten V., zum Anlass nimmt, ein schärferes Sexualstrafrecht vorzuschlagen, ist ebenso verständlich wie perfide. Haben genug Eltern in die Kamera geweint, herrscht Gefühlspolitik: Schwanz ab, Kopf ab und „wegsperren für immer“. Letzteres Zitat stammt nicht von der Union, sondern von Bundeskanzler Schröder – geäußert zum Fall Julia.

Der Gesetzentwurf der Union hat deshalb auch den Schönheitsfehler, dass er einem bereits verabschiedeten Gesetz der Regierung sehr ähnlich sieht: das „Wegsperren für immer“, die Sicherungsverwahrung, kann bereits heute nachträglich angeordnet werden, wenn die weitere Gefährlichkeit eines Täters erst während seiner Haftzeit erkannt wird. Die Union möchte nun, dass die mögliche Verwahrung nicht schon im Urteil angekündigt werden muss, sondern auch bei bereits verurteilten Straftätern verordnet werden kann. Ein minimaler Unterschied, der zeigt, wie ähnlich sich die großen Parteien im Umgang mit Gewalttätern geworden sind. Die SPD ist längst nicht mehr die „Resozialisierung um jeden Preis“-Partei.

Das ist nicht schlecht – wenn man damit von der Haltung wegkommt, die im Täter nur ein Opfer sieht, und dem Handelnden damit die Verantwortung abnimmt. Siehe Frank Schmökel, der der festen Ansicht ist, seine Mutter sei schuld an seinen Morden. Allerdings wird Tätern auch dann Verantwortung genommen, wenn sie einfach weggesperrt werden: die Verantwortung, die eigene Tat aufzuarbeiten.

Das findet höchstens in Therapien statt – wenn überhaupt. Die Sicherungsverwahrung wird in wenigen vereinzelten Fällen von „Untherapierbaren“ angewandt werden – ob mit oder ohne Vorbehalt, ist letztlich unerheblich. Bei den weitaus meisten Sexualstraftätern muss weiterhin der mühevolle Weg zwischen Verwahren und Resozialisieren durch Therapien gegangen werden. Das ist schwierig: die Anstalten sind überfüllt, es fehlt das Geld. Aber das ist natürlich kein Thema für Gefühlspolitik. HEIDE OESTREICH