: Viagra zum Ramadan
In der islamischen Welt hat gestern der Fastenmonat begonnen. Doch viele Ägypter müssen auf die gewohnten abendlichen Köstlichkeiten verzichten
KAIRO taz ■ Als der alte nubische Pförtner Mukhtar gerade noch zwei Zähne übrig hatte, bekam er ein neues, strahlend weißes Gebiss. Doch gestern Morgen grinste er die Bewohner seines Kairoer Gebäudes wieder mit dem eingefallenen und leeren Mund an. „Ramadan Karim“ und „Kul Sanaa wa anta Tayyeb“ – „Der Ramadan ist großzügig und es soll dir das ganze Jahr über gut gehen“, murmelt er die Begrüßungsformel des islamischen Fastenmonats Ramadan, der überall in der islamischen Welt am Mittwoch begonnen hat. Seine neuen künstlichen Zähne, sagt er, habe er herausgenommen. Schließlich brauche er sie beim Fasten bis zur Abenddämmerung nicht.
Ganz Kairo hat sich schon seit Tagen auf die bevorstehenden Festlichkeiten vorbereitet. Die Verkehrspolizei hat einen besonderen Krisenstab für die berüchtigten Ramadan-Verkehrsstaus eingerichtet. Die größte private Mobilnetzfirma hat in allen Zeitungen große Anzeigen geschaltet, dass ihre Mitarbeiter während des heiligen Monats nur von 10.30 bis 14.30 Uhr zur Verfügung stehen. Ramadan Karim – Der Ramadan ist großzügig.
In den engen Gassen leuchten von Kindern aufgehängte Ramadan-Laternen in allen Formen und Farben. Besonderer Hit dieses Jahr ist die tanzende Laterne, die im Takt der neuesten ägyptischen Schlager mitschwingt. Die Läden sind voll mit Nüssen und getrockneten Früchten. Überall riecht es nach frischem, speziellem Ramadan-Gebäck, für die Zeit, wenn bei Sonnenuntergang das Iftar – wörtlich „das Frühstück“, also das Fastenbrechen, ansteht. Es ist eine Zeit vergleichbar mit Weihnachten.
Doch die Stimmung in der ägyptischen 18-Millionen-Stadt ist dieses Jahr ein wenig gedrückt. Nicht etwa, weil möglicherweise ein Krieg im Irak vor der Tür steht. Bagdad ist weit, der eigenen grummelnde Magen meldet sich dagegen unmittelbar. Das Gedeck der Iftar-Tische in der Abenddämmerung wird dieses Mal wohl ein wenig magerer als sonst ausfallen. Der Grund: die Preise für allerlei Zutaten zum Ramadan-Essen haben in Ägypten enorm angezogen. „Selbst Zucker können wir uns nicht mehr in großen Mengen leisten“, beklagt sich eine Kairoer Hausfrau. Zusammen mit Mehl ist der Süßstoff im Schnitt zum Vorjahr um 10 bis 15 Prozent gestiegen. Das Hauptproblem ist allerdings das Yameesch, die Mischung getrockneter Früchte – für jeden Ramadan eine Unabdingbarkeit –, hatte doch schon der Prophet Muhammad sein Fasten mit diesen Früchten gebrochen.
Seien es getrocknete Aprikosen, Pflaumen oder Rosinen – bis zu 300 Prozent mehr kosten diese Produkte im Vergleich zum Vorjahr. Es dem Propheten nachzutun, ist zum Luxus geworden. Der Grund: all diese Früchte sind importiert, und das Pfund, die ägyptische Währung, ist immer weniger wert. Wohlweislich haben die Yameesch-Importeure ihre Einfuhren dieses Jahr fast um die Hälfte eingeschränkt.
Die Verzweiflung kennt in manchen Fällen keine Grenzen. Die Feuerwehr wurde diese Woche zu einem Wohnungsbrand gerufen, um nach dem Löschen des Feuers festzustellen, dass der Brand von der Mieterin selbst gelegt worden war. Die Hausfrau wollte damit dagegen protestieren, dass ihr Ehemann dieses Jahr kein Yameesch nach Hause gebracht hat. Geschätzter Schaden: ca. 6.000 Euro oder umgerechnet zwei Tonnen getrockneter Aprikosen.
Unterdessen versuchen die Händler auf dem Dattelmarkt unter einer der Nilbrücken der Stadt mit lautem Rufen ein paar Käufer zu finden. Jedes Jahr wechseln die Namen ihrer Produkte, letztes Jahr wurde die süßeste und saftigste Dattelart unter dem Markennamen „Bin Laden“ feilgeboten. Der ist inzwischen out. Die gleiche Sorte läuft jetzt als „Viagra-Dattel“. Gleich danach rangiert „Leila Alawi“ auf Rang zwei, benannt nach einer bekannten drallen ägyptischen Schauspielerin, die auch als Sex-Symbol angesehen wird. Gleich geblieben ist dagegen die Benennung des schrumpeligen Ausschusses der acht Millionen ägyptischen Dattelpalmen, die weiter als „Bush“ oder „Scharon“ im Angebot stehen.
Ein Kilo Viagra-Datteln kostet allerdings gut zehn Prozent eines durchschnittlichen Monatsgehaltes. Der nubische Pförtner Mukhtar wird sich also mit seinem neuen Gebiss höchstwahrscheinlich mit einem trockenen US-Präsidenten oder israelischen Premierminister abmühen müssen. Es sei denn, einen der reicheren Hausbewohner packt die Gnade des Ramadan und er bringt Mukhtar doch ein paar saftige braune Viagras mit.
KARIM EL-GAWHARY
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