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Antideutsche Karte

In Polen wachsen negative Gefühle gegenüber dem Nachbarn. Bundeskanzler Gerhard Schröder ignoriert das

WARSCHAU taz ■ „Drang nach Osten. Die Deutschen kolonisieren den Osten“ – mit dieser Schlagzeile und dem Bild eines alten Bayern in Lederhose und Socken in den deutschen Nationalfarben, ein Bier in der Hand, trifft das polnische Nachrichtenmagazin Wprost die Stimmung der Polen. Zu Füßen des Mannes springen Hunde, die EU-Beitrittskandidaten Polen, Tschechien und Ungarn, machen Männchen und betteln um Anerkennung.

Kanzler Gerhard Schröder, der am Dienstagabend zu einem Kurzbesuch nach Warschau kam und damit Polen die Ehre der ersten Auslandreise nach seiner Wiederwahl erwies, machte gute Miene zum bösen Spiel. Mit keinem Wort erwähnte er seinen Gastgebern gegenüber die zunehmend antideutsche Stimmung in Polen. Leszek Miller wiederum, der Ministerpräsident Polens, wie auch Aleksander Kwásniewski, der polnische Staatspräsident, die sich persönlich gut mit Schröder verstehen, gaben sich alle Mühe, dem Gast wie auch den Medien zu zeigen: „Wir sind Freunde. Auch die EU-Verhandlungen können uns nicht auseinander bringen.“

Vor gut einer Woche wäre fast die Mitte-links-Koalition aus Demokratischem Linksbündnis (SLD) und Bauernpartei (PSL) zerbrochen, weil eine deutsche Firma, der Energiekonzern RWE, den Zuschlag bei der Privatisierung des Warschauer Stromversorgers STOEN erhalten hatte. Dass im Sejm, dem Abgeordnetenhaus, fast täglich rechtsradikale Reden geschwungen werden – daran musste man sich gewöhnen, seit 2001 zwei rechtsradikale und eine rechtspopulistische Partei ins Parlament einzogen.

Doch ein solches Spektakel um eine ausländische Investition hatte es noch nie gegeben. Zygmunt Wdrzodak von der national-katholischen „Liga der polnischen Familien“ (LPR) erklärte vor laufenden Kameras: „Die Polen wollen nicht den Deutschen, sondern dem polnischen Staat für die verbrauchte Energie zahlen. Diese schändliche Privatisierung ist nicht im Interesse der polnischen Nation und des polnischen Staates.“ Zdislaw Jankowski von der radikalen Bauernpartei „Samobrona“ setzte noch eins drauf: „Nach der Kapitulation der Aufständischen im Jahre 1944 wird das eine weitere Kapitulation Warschaus vor der Gewalt der deutschen Angreifer sein.“ Da die Deutschen nun die unter- und überirdische Infrastruktur Warschaus kennen lernen würden, bedeute dies „eine unmittelbare Gefährdung unserer Sicherheit“.

Statt zur Tagesordnung überzugehen, schloss sich der Koalitionspartner der SLD, die Bauernpartei PSL, dem Kriegsgeschrei an. Um die Regierung zu retten, wurden die Sejmsitzungen bis nach den Kommunalenwahlen am letzten Wochenende ausgesetzt. Zwar konnte die Regierungskrise beendet werden, doch die Rechnung der polnischen Rechtsradikalen und Populisten ging dennoch auf. Mit der antideutschen Karte sind Samobrona und LPR in fast alle Sejmiki (Landtage) eingezogen. Völlig abgehängt wurden die Parteien der politischen Mitte. So wird die SLD gezwungen sein, fast im ganzen Land mit den Rechtsradikalen eine Koalition einzugehen. Für die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen bedeutet dies nichts Gutes. Doch Schröder und Miller umarmten sich vor den Kameras, so als wollten sie sagen: „Augen zu und durch!“

GABRIELE LESSER

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