US-Demokraten in der Identitätskrise

Nach dem Wahldebakel betreiben die Demokraten Ursachenforschung. Erster Vertreter der Führungsriege tritt ab

WASHINGTON taz ■ Einen Tag nach der Niederlage der Demokraten bei den Wahlen zum US-Kongress hat der bisherige Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, Dick Gephard, seinen Rückzug angekündigt. Er werde nicht wieder kandidieren, wenn sich im Januar der Kongress konstituiere, sagte Gephard, der die demokratische Fraktion im Repräsentantenhaus seit 1994 anführt.

Gephard ist der Erste aus der bisherigen demokratischen Führungsriege, der nach dem Debakel vom Dienstag seinen Posten aufgibt. Er ließ zwar offen, ob er damit Verantwortung für die Niederlage übernehmen wollte oder sich auf eine mögliche Präsidentschaftskandidatur vorbereiten will. Doch für Letzteres stehen die Chancen nicht allzu gut, denn Dick Gephard steht auch persönlich für die jetzige Identitätskrise der Demokraten.

Allmählich dämmert es den Demokraten, dass die übertriebene Nähe zu Präsident George W. Bush ihnen nicht gut getan hat – und für die stand, etwa in der Irakfrage, Dick Gephard in vorderster Front. Sein Rückzug löst das Problem nicht, und die Diskussion hat gerade erst begonnen. Noch wundern sich die Demokraten, warum sie aus der schwierigen Wirtschaftslage kein Kapital schlagen konnten. Denn Umfragen zufolge war die Wirtschaft eines der wichtigsten Themen – nur sah die Mehrheit keinen Grund, deswegen den Demokraten ihre Stimme zu geben.

Neben dem Antiterrorkomplex waren es die Themen der letzten 30 Jahre, die den Wahlkampf bestimmten: Steuern, Gesundheitspolitik, Bildung und die Ankurbelung der Wirtschaft. Die Themen sind wichtig, doch die immer gleiche Auseinandersetzung langweilt – und beim Thema der Steuerpolitik haben die Republikaner längst die Lufthoheit: Gegen das Versprechen weiterer Steuerkürzungen versuchen die Demokraten gar nicht erst anzugehen – trotz angespannter Haushaltslage. Und das ungerechte Steuerstreichungspaket von 2001, das nur wenige Wohlhabende stark entlastet, können die Demokraten auch kaum zum Thema machen: Als Bush dieses Paket durch den Kongress brachte, konnte er im Senat auf entscheidende Stimmen von den Demokraten zählen. Und wenn Bush in den nächsten zwei Jahren vom Kongress fordern wird, die Steuerstreichungen permanent zu verankern, braucht er zwar die Stimmen der Demokraten nicht mehr. Ob das denen aber Grund genug ist, dagegen zu stimmen?

Nicht wenige fordern einen Schwenk zu strikter Opposition in innen- und außenpolitischen Fragen, um das Profil der Demokraten wieder zu schärfen – doch da warnen zielgruppenorientierte Wahlstrategen, die darauf hinweisen, dass auch in den USA heute Wahlen in der politischen Mitte gewonnen werden und die linksliberale Basis der Demokraten zu klein sei. Das verweist auf ein Führungsproblem – immerhin folgt Präsident Bush mitnichten einem Programm der Mitte, sondern setzt eine ultrakonservative Linie durch.

Das kann er nur aufgrund des 11.-September-Bonus. Aber das ist kein Grund für übertriebene Ängstlichkeit, zudem die Demokraten, so warnt der Washington Post-Kolumnist E. J. Dionne, nicht gut beraten sind, wenn sie durch Unterstützung des Präsidenten dessen Popularität vergrößern. Nur: Opposition bräuchte ein Gesicht. Dick Gephard war es nicht. Der bisherige demokratische Mehrheitsführer im Senat, Tom Daschle, hat in der Irakdebatte versucht, die Opposition anzuführen, und wurde von der eigenen Fraktion düpiert.

So bleibt nur der frühere Vizepräsident Al Gore, der sich in den letzten Wochen gelegentlich anschickte, in so eine Richtung zu argumentieren. Gore spielt zwar mit dem Gedanken einer erneuten Kandidatur, doch seine Popularitätswerte sind im Keller.

Bleibt die Hoffnung auf neue Gesichter bei den Gouverneuren, dem traditionellen Rekrutierungsfeld künftiger Präsidenten. Und die einzigen Wahlen, bei denen die Demokraten Zugewinne erzielten. Zwar argumentieren Kritiker, angesichts der Haushaltskrise in nahezu allen Bundesstaaten habe in sehr vielen Staaten die jeweilige Opposition gewonnen, und da diesmal mehr republikanische Gouverneure zur Wiederwahl standen, hätten mehr Demokraten gewonnen. Wie dem auch sei: Bis diese neuen Figuren für eine Präsidentschaftskandidatur bereit sind, brauchen sie Zeit. Für die Wahlen 2004 keine rosigen Aussichten.

BERND PICKERT