piwik no script img

Übernachtungsrelevante „Mogelpackung“

Bremen hat kein Geld für Chorleiter und kein Interesse am renommierten „Deutschen Chorwettbewerb“ – dafür bald eine „Chorolympiade“. Trotz der Warnung des Fachverbandes gibt das Wirtschaftsressort dafür 2,56 Millionen Euro – Hauptsache, die Hotelbetten füllen sich

„Manchmal gibt es mehr Medaillen als Teilnehmer“

Im Sommer 2004 soll in Bremen die dritte „Chorolympiade“ stattfinden – ein Groß-Ereignis mit geplanten 20.000 TeilnehmerInnen und verschiedensten Facetten. Eine davon ist die berechtigte Freude der Bremer Musical Company, die gerade erfolgreich von der 2. Chorolympiade aus Korea zurückgekommen ist. Eine andere ist die Kritik an den hinter der Veranstaltung stehenden kommerziellen Interessen.

Denn: Organisator der Olympiade ist der im hessischen Pohlheim beheimatete Verein „Interkultur“, der unter dem Markennamen „Musica Mundi“ zahlreiche Wettbewerbe und Festivals veranstaltet. Das Motto: „Wir laden alle ein ... ganz gleich, welche künstlerischen Ambitionen sie verfolgen.“ Allerdings: Teilnahmebedingung ist das Buchen von Reise und Unterkunft beim vereinseigenen Reisebüro.

Beim Deutschen Musikrat, dem obersten Dachverband des bundesrepublikanischen Musiklebens, hat man ein „ambivalentes Verhältnis“ zur Pohlheimer „Chorolympiade“. Und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände (ADC) spricht gar von „Mogelpackung“. Trotz einzelner sehr guter Chöre gehe es bei diesen „Olympiaden“ keineswegs um Topqualität oder gar Völkerverständigung, sagt ADC-Geschäftsführer Rolf Pasdzierny – „auf den Wettbewerben von Musica Mundi gibt es manchmal mehr Medaillen als Teilnehmer“. In einem bundesweit verschickten Schreiben hat sein Verband bereits vor einem Jahr dazu aufgefordert, der „Chorolympiade“ „jegliche Subventionierung aus öffentlichen Mitteln“ zu versagen.

In Bremen stieß diese fachliche Empfehlung jedoch auf wenig Resonanz. Für die Kulturbehörde erklärt deren Sprecher Markus Beyer, man habe lediglich ein „Grobkonzept“ aus dem Wirtschaftsressort zur Kenntnis genommen und keine eigene Einschätzung abgegeben. Und Wirtschaftssprecher Andreas Jacobsen, dessen Ressort die Olympiade mit 2,56 Millionen Euro bezuschusst, betont seinerseits: „Wir machen keine Kulturpolitik, sondern fördern nach rein wirtschaftlichen Kriterien.“ Und die seien bei allen Ereignissen mit „überregionaler Ausstrahlungskraft“ gegeben.

Konkret: Für die Chorolympiade wird an zehn Tagen mit insgesamt 150.000 Übernachtungen gerechnet – eine „gigantische Zahl“, sagt Bremen-Marketing-Chef Klaus Sondergeld, angesichts der üblichen einen Million an Bremer Übernachtungen pro Jahr. Sondergeld weiß allerdings auch: „Man kann sowas nicht gegen die heimische Chorszene machen.“ Und die sei bisher zu wenig eingebunden worden.

Offenbar sehr wenig. „Das kam für uns aus heiterem Himmel“, sagt Hans-Jürgen Ollech, Präsident des Chorverbandes Niedersachsen-Bremen, der 5.000 bremische Mitglieder und hier auch seinen Sitz hat. Von der geplanten Olympiade habe er erst aus der Zeitung erfahren. Ollech kann sich durchaus vorstellen, die nun angeforderte logistische Unterstützung – Hunderte von ehrenamtlichen Helfern werden gebraucht – zu gewährleisten. Aber auch ihm stößt sauer auf, dass Bremen Millionen für eine Olympiade, aber nicht mal die jährlich 170 Euro pro Chor hat, mit der alle anderen Bundesländer die Finanzierung von qualifizierten LeiterInnen unterstützen.

Masse und Qualität – zwei wünschenswerte Parameter, die sich keineswegs ausschließen müssen. Schließlich gibt es seit 20 Jahren den hochrenommierten, mit Bundesmitteln geförderten „Deutschen Chorwettbewerb“, der sich über diverse Ausscheidungen bis auf die internationale Ebene fortsetzt. Dafür hätte Bremen im Mai Austragungsort sein können – wenn es bei der entsprechenden Anfrage Interesse gezeigt hätte. Stattdessen machte Osnabrück das Rennen und beherbergte fast 5.000 SängerInnen.

Henning Bleyl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen