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Knallbuntes Oktett

Andre Agassi will endlich seinen zweiten Masters-Titel und als Zugabe Lleyton Hewitt als Nummer eins ablösen

SCHANGHAI taz ■ Wer am besten aussieht, ist beim Männertennis gewöhnlich eher nicht von Belang. Doch diesmal, als die acht Spieler und der Ersatzmann des Masters Cup beim Fototermin am Ufer des Huangpu auf der Bühne standen, konnte man/frau nicht anders, als ausnahmsweise eine Rangliste nach Äußerlichkeiten zu erstellen. Die Herren trugen allesamt chinesische Stehkragensakkos aus Seide, in diversen Farben von edlem Weinrot (Carlos Moya und Roger Federer), aggressivem Knallrot (Lleyton Hewitt), Papageienblau (Andre Agassi), klassischem Schwarz (Marat Safin und Jiri Novak) bis zu langweiligem Braun (Juan Carlos Ferrero, Albert Costa und Thomas Johansson). Und die Wahl ging eindeutig an Federer und Moya, die mit ihren dunklen, langen Haaren in dem Gewand aussahen, als sei es für sie entworfen worden.

Andre Agassi war nicht ganz glücklich in Blau; seine bunte Phase liegt halt schon ziemlich lange zurück. Trotzdem kündigte er an, die Jacke auf jeden Fall behalten zu wollen, und versicherte: „Damit werde ich groß rauskommen in Las Vegas.“ Ob in den Straßen der Stadt oder daheim im trauten Kreis, ließ er offen. Dass er sportlich betrachtet noch groß rauskommen muss, kann niemand behaupten, und doch gibt es selbst für einen wie ihn nach wie vor reizvolle Ziele.

Wenn alles gut läuft in dieser Woche, hat Agassi die Chance, den Australier Lleyton Hewitt noch von der Spitze des so genannten Champions Race zu verdrängen und das Jahr zum zweiten Mal in seiner Karriere als nominell Bester aller Tennisspieler zu beenden. Das wird zwar eng und bedarf der freundlichen Mithilfe Hewitts, doch was alles passieren kann, das hat man vor zwei Jahren in Lissabon gesehen, als Gustavo Kuerten aus Brasilien im letzten Moment noch den Russen Marat Safin überholte.

Andre Agassi ist der einzige der aktuellen Kandidaten, der in den späten Achtzigern beim Masters in New York schon gespielt hat, danach bei den ATP-Weltmeisterschaften in Frankfurt und Hannover und schließlich beim Masters Cup, aber besonders zufrieden ist er dabei in all den Jahren nicht gewesen. Sein einziger Titelgewinn stammt aus dem Jahre 1990, zweimal stand er noch im Finale, 1999 gegen Pete Sampras und 2000 gegen Kuerten, doch beide Male verlor er. Letztes Jahr in Sydney scheiterte er schon in der Vorrunde, aber damals hatte er auch ein paar Wochen mit sehr persönlichen Prioritäten hinter sich – die Heirat mit Steffi Graf am 22. Oktober und die Geburt des Sohnes Jaden Gil nur vier Tage später.

Noch immer schwärmt er von der beglückenden Beziehung zu Frau und Kind, doch er ist längst wieder bei der Sache, wenn es um besondere Spiele und Titel geht. Er ist mit 32 Jahren nicht weniger ehrgeizig als Lleyton Hewitt, der gerade mal sechs war, als Agassi anno 1987 den ersten Titel gewann. Der Australier sagt, es komme ihm immer noch seltsam vor, als Nummer eins mit dem einst bewunderten Konkurrenten verglichen zu werden, bei allem, was der schon gewonnen habe.

Hewitt hat auf dem Weg zum Masters Cup einen kleinen, sentimentalen Abstecher gemacht. Da sein Flug von Paris über London nach Schanghai ging, gönnte er sich, vier Monate nach dem großen Sieg auf dem Centre Court, ein paar Ballwechsel in Wimbledon. „Ich hatte Gänsehaut, als ich da wieder durch das Tor gegangen bin“, sagt Hewitt. Mit dieser Einstimmung machte er sich auf den Weg gen Osten. Er hat nun ein Jahr als Nummer eins des Tennis hinter sich, und er hat das Gefühl, in dieser Rolle inzwischen von allen akzeptiert zu werden.

Dass er abseits des Tennisplatzes ein leiser, schüchterner Zeitgenosse ist, das sah man wieder mal, als er in seinem roten Seidengewand an einem Tisch saß und Fragen beantwortete. Den Hinweis einer Chinesin, wenn ein Mann in ihrem Land eine rote Jacke trage, dann bringe das Glück und bedeute, das demnächst eine Heirat ins Haus stehe, konterte Hewitt mit Bedacht. Dieses Rot, sagte er, sei ohnehin seine Lieblingsfarbe, doch mit einer derart belanglosen Antwort kam er nicht durch. Eine zweite Chinesin, jung und hübsch, legte nach und fragte, ob er denn wirklich schon vergeben sei. „Pretty much, yeah“, meinte der Kandidat und grinste verlegen. So, wie man ihn während eines Spiels garantiert nie sieht.

DORIS HENKEL

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