piwik no script img

Mit der Friedhofsruhe ist Schluss

von PHILIPP GESSLER und SEBASTIAN STOLL

Der erste Besuch beim zukünftigen Schwiegervater, der seine Tochter, seine Katze und seine verstorbene Mutter abgöttisch liebt. Der Schwiergersohn in spe tritt von einem Fettnäpfchen ins andere, macht auf den dominanten Vater seiner Verlobten einen desaströsen Eindruck, versucht zu retten, was zu retten ist, und öffnet daher bei Tisch die mitgebrachte Champagnerflasche. Doch der Korken zischt unglücklich durch den Raum und trifft die Urne der Mutter seines zukünftigen Schwiegervaters. Die Urne fällt vom Kaminsims und zerschellt am Boden. Die Katze springt auf, huscht zur Asche und pinkelt, völlig verstört, auf Mutters sterbliche Überreste.

Dieses Horrorszenario beschreibt die US-Komödie „Meine Braut, ihr Vater und ich“ mit Robert De Niro. Und wer sie gesehen hat, wird zögern, die Urne mit der Asche seiner Angehörigen mit nach Hause zu nehmen. Das ist zwar bisher in Deutschland verboten. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen aber will das ändern: Bei einer Anhörung über den Entwurf eines neuen Bestattungsgesetzes im Düsseldorfer Landtag stellte die Landesregierung Pläne vor, die die bisherige Friedhofsruhe bei diesem Thema mit einem Schlag beendete. Die wichtigsten Neuerungen: Unter Umständen könnten Friedhöfe privat betrieben werden. Fallen soll die Pflicht, Leichname nur in Särgen beerdigen zu dürfen („Sargpflicht“). Und der „Friedhofszwang“ soll gelockert werden, den die Nazis 1934 per Reichsgesetz einführten: Urnen wie Särge dürfen nur auf Friedhöfen beerdigt werden. Der Sozial- und Kulturhistoriker Norbert Fischer von der Universität Hamburg spricht von einer „Revolution in der Bestattungskultur“.

Kein Wunder, dass sich sofort die Bedenkenträger melden: Die katholische Kirche bemängelt, dass die Menschenwürde der Eingeäscherten in Gefahr sei, wenn die Asche mit nach Hause genommen werden könne und sich womöglich später niemand mehr um die Urne kümmere. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, machte dunkle Andeutungen über das Verstreuen von Asche „wie bei Krematorien vergangener Zeiten“. Der Beauftragte seiner Kirche bei der Düsseldorfer Landesregierung warnte: Die Totenruhe, bislang unter dem Schutz der Gemeinschaft, werde zu einer privaten Angelegenheit, ja der Verstorbene „zum Objekt herabgewürdigt“. Der Kulturhistoriker Fischer sieht jedoch noch einen anderen Grund für den Protest der Kirchen: „Die Kirchen fürchten um ihre gesellschaftliche Relevanz.“ Schließlich seien die Friedhöfe die „letzten Bastionen“ ihrer Bedeutung.

Handgreiflicher sind die Gründe für den Widerstand anderer Lobby-Gruppen: Der Städtetag warnt vor höheren Kosten für alle, wenn es zu einer Freigabe der Urnen komme. Wenn nämlich viele die Asche ihre Angehörigen mit nach Hause nähmen, müssten die Gemeinkosten für den Unterhalt der städtischen Friedhöfe auf weniger Nutzer traditioneller Erdbestattungen verteilt werden: In manchen Kommunen kostet schon jetzt der Quadratmeter für ein Urnengrab fast 100 Euro pro Jahr. Es geht ums Geld, und das sehen die Kommunalverbände schwinden, wenn vermehrt der private Vorgarten zum Friedhof wird und private Friedhofsbetreiber in den Milliardenmarkt drängen. Fast unnötig zu erwähnen, dass auch der Verband der Friedhofsverwalter und der Bundesinnungsverband des deutschen Steinmetz- und Holzbildhauerhandwerks klar gegen die Liberalisierung des Bestattungsgesetzes sind. Ihr Argument: angeblich nur die Totenruhe. Der Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB) ist ebenfalls gegen das geplante Gesetz – jedoch nicht aus Angst vor finanziellen Einbußen, wie BDB-Geschäftsführer Rolf Lichtner betont: Er verweist darauf, dass man auch beim Einäschern (Fachausdruck: „Kremieren“) aus technischen Gründen einen Holzsarg brauche. Immerhin: Der Zentralrat der Muslime begrüßte die Lockerung des Sargzwangs – der Koran nämlich fordert im Grundsatz, Gläubige nur in Tüchern gehüllt zu beerdigen. Und Feuerbestattungen sind ganz verboten.

Wird es trotz des massiven Widerstandes also – Allah sei Dank! – doch zu einem neuen Gesetz in NRW kommen? Die Wahrscheinlichkeit ist recht hoch, da eine Lockerung immerhin von drei Parteien im Landtag unterstützt wird. Der Hamburger Kulturhistoriker Fischer prognostiziert bereits: „NRW ist ein Pionierfall und wird eine Vorreiterrolle spielen.“ Die anderen Bundesländer würden bald nachziehen – um Urnen-Tourismus zu vermeiden.

BDB-Geschäftsführer Lichtner bleibt angesichts solcher Gefahren gelassen: In den Niederlanden verlangten nur rund ein Prozent der Angehörigen, dass ihnen die Asche ihrer Verstorbenen, wie dort möglich, ausgehändigt wird. Seine Sache sei die Familienasche auf dem Kaminsims dennoch nicht: „Ich frage mich, wie das aussieht, wenn Sie nach einiger Zeit zehn bis zwölf Urnen zu Hause stehen haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen