: Visa für Kaliningrad
EU-Vertreter und Putin einigen sich in Brüssel über schnellere Erteilung von Transitvisa. Derweil demonstrieren unweit Exiltschetschenen
BRÜSSEL taz ■ Tschetschenien stand gestern beim zehnten EU-Russland-Gipfel gar nicht auf der Tagesordnung. Das Treffen war von Kopenhagen nach Brüssel verlegt worden, um Distanz zum Tschetschenienkonflikt zu schaffen. Er holte die Politiker dennoch ein. Seit dem Kongress von Exiltschetschenen vor einer Woche in der dänischen Hauptstadt sind die russisch-dänischen Beziehungen frostig.
Während der amtierende EU-Ratsvorsitzende, der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen, das diplomatische Kunststück versuchte, rechtsstaatlichen Grundsätzen treu zu bleiben, ohne den russischen Präsidenten zu verärgern, nahm Putin kein Blatt vor den Mund. „Wir bekämpfen den internationalen Terrorismus nicht nur in Tschetschenien, sondern überall. Diese Leute wollen das internationale Kalifat – jeder Christ ist bedroht, jeder Freund der Amerikaner weltweit“, erklärte Putin in einem wütenden Stakkato.
Angesichts dieser Differenzen bekommt die von Europäern und Russen gemeinsam verabschiedete Erklärung zur Terrorismusbekämpfung einen bitteren Beigeschmack: „Wir verdammen den Terror in all seinen Spielar-ten.“ Dass sich Russland und die EU nach monatelangen Verhandlungen auf eine Lösung in der Passierscheinfrage geeinigt haben, trat in den Hintergrund.
Ab Juli 2003 soll es vereinfachte Visaprozeduren für Russen geben, die zwischen Kaliningrad und dem russischen Kernland unterwegs sind. Nach dem Beitritt Litauens zur EU wird Kaliningrad ab 2004 völlig von EU-Gebiet umschlossen sein.
Während im Ratsgebäude in Brüssel Kommissionspräsident Prodi und der außenpolitische Vertreter Solana mit Putin posierten, wandte sich außerhalb der Bannmeile der französische Philosoph André Glucksmann mit einer emotionalen Rede an die angereisten Exiltschetschenen und die Demonstranten: „Wenn Europa vor Putin kuscht, leugnet es den eigenen Gründungsakt!“, rief Glucksmann. Die EU sei einst gegründet worden, um Genozide zu verhindern.
In einer Pressekonferenz hatte Glucksmann zuvor von seinen Eindrücken einer vierwöchigen Reise durch Tschetschenien berichtet. In drastischen Worten schilderte er die Zerstörungwut „einer Armee im Zustand des Verfalls, die Menschen kidnappt, um von den Verwandten Geld zu erpressen“. Der tschetschenische Gesundheitsminister der Exilregierung, Umar Chanbijew, sagte, er erwarte, dass die Europäische Union den russischen Terror in Tschetschenien verurteile.
DANIELA WEINGÄRTNER
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