: Leiser Abschied einer lauten Visionärin
Für Bildungsministerin Gabriele Behler ist in der neuen NRW-Regierung kein Platz mehr. Ihr Ressort wird aufgeteilt, ihre Ziele aufgegeben. Die SPD-Politikerin kämpfte gegen Studiengebühren, wollte „Studienkonten“ – und scheiterte
DÜSSELDORF taz ■ Die Aufteilung ihres Ressorts in Schule und Wissenschaft wollte Nordrhein-Westfalens bisherige Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) nicht mitmachen. Als Ministerpräsident Peer Steinbrück gestern sein neues Kabinett vorstellte, fehlte Behler auf der Liste der Regierungsmitglieder.
Ihr großes Projekt war schon vorher gescheitert: Studienkonten statt Studiengebühren. Vergangenes Jahr hatte Behler versucht, ein soziales Punktesystem einzuführen, das Studierende zum flotten Examen anspornen sollte. Mit der Wucht eines Bundeslandes mit 500.000 Studierenden wollte Behler so eine Alternative zu den in ganz Deutschland um sich greifenden Langzeitgebühren setzen.
Doch was unter Studierenden und Rektoren mit Beifall bedacht wurde, konnte die Herren der Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr nicht begeistern. Der bisherige Finanzminister und heutige Regierungschef Steinbrück und sein Vorgänger Wolfgang Clement machten Behler einen Strich durch die Rechnung. Sie blamierten ihre Bildungsministerin, indem sie gegen deren erklärtes politisches Ziel Langzeitgebühren für NRW verkündeten – und auf den Weg brachten.
Das war der entscheidende Rückschlag für Behler im Frühjahr 2002. Die Ministerin musste hinnehmen, dass Steinbrück Studiengebühren durchsetzen konnte. Tagelang kam kein Wort von ihr, dem für Hochschulen zuständigen Kabinettsmitglied. Damit kippten Steinbrück und Clement nicht nur das Kontenmodell Gabriele Behlers, ihren einzigen großen bildungspolitischen Wurf, sondern gleich die Ministerin selbst. Dass die SPD-Politikerin, zuständig für ein Drittel aller deutschen Schulen und Hochschulen, vergangene Woche ihr Amt zur Verfügung stellte, ist nur noch das späte Eingeständnis dieser bitteren Gebührenniederlage.
Mit Behler geht eine Frau, die sich selbst als Visionärin verstand, die aber wenig Sichtbares hinterließ. Sie zettelte viele kleine Änderungen am Bildungssystem an – von denen aber keines im Gedächtnis haften bleibt.
Fast scheint es, als wiederhole sich Geschichte. Auch Behlers Vorgängerin im Amt, die legendäre Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD), war über die Studiengebühren gestolpert. 1998 servierte Johannes-Rau-Nachfolger Clement das von Studierenden aus der ganzen Republik bejubelte Bollwerk gegen Studiengebühren ab – er entließ Brunn. Die damalige Schulministerin Behler, die „linke Gabi“ aus Ostwestfalen, bekam die Ressorts Hochschule und Wissenschaft zugeschlagen. Behler machte sich ans Reformwerk, ausgestattet mit einem bundesweit einzigartigen Etat von 16 Milliarden Euro – fast doppelt so hoch wie der von Gerhard Schröders Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD).
Die rote Gabi im Reformistengewand wollte bis zum Schluss Utopistin sein – blieb freilich oft unverstanden. Mit ihrem abstrakten, an die Frankfurter Schule gemahnenden Jargon ließ sie die Journalisten, die das Konkrete lieben, oft ratlos zurück und bekam zu hören: „Was meint sie damit?“ Im Zentrum ihrer Reden stand immer wieder das Wort: „Autonomie“. Sie wollte Schulen kreieren, die in Eigenregie über pädagogisches Material, Wandbemalung und Lehrereinstellung entscheiden. Die Universitäten verpflichtete die Ministerin im freien Vertrag mit dem Staat, einem so genannten Hochschulpakt, ihre Ziele selbst zu bestimmen. Ein mühseliges Geschäft, denn in den Superbürokratien waren schnelle Erfolge selten zu vermelden.
Die konkreten Missstände packte die Ministerin aber oft nicht an. Das warf nicht nur Oppostionsführer Jürgen Rüttgers (CDU) der 51-Jährigen vor: Behler stehe für „massenhaften Unterrichtsausfall, frustrierte Lehrer und enttäuschte Eltern“. Dagegen hatte die Ministerin tatsächlich kein Rezept. Auch nach der Pisa-Studie, bei der deutlich wurde, dass NRW seine wichtigsten Bildungsziele Leistung und Gleichheit verfehlt, waren von Behler keine zündenden Antworten zu vernehmen. Zu dieser Zeit verabschiedete sich wohl auch Wolfgang Clement endgültig von der Lehrerin. Als die Opposition forderte, Behler aus dem Amt zu jagen, sagte der Ministerpräsident nur: „Mobbing wird bei uns keinen Erfolg haben.“ Allerdings seien Fehler gemacht worden – Rückendeckung sieht anders aus.
Die Frau aus Bielefeld blieb ihrer Linie treu: Sie setzte auf strukturelle Veränderungen des Systems – und hielt sich aus aktuellen Miseren heraus. Ihre Frischzellenkur fürs gesamte Bildungssystem – mehr Autonomie wagen – geriet jedoch zunehmend zur Donquichotterie gegen verknöcherte Professoren, schwerfällige Lehrerkollegien, staatliche Bürokratie, Ministerkollegen und Gewerkschaftsfunktionäre. Insgeheim hätte Behler wohl gerne den verbeamteten Lehrer und Hochschullehrer abgeschafft. Aber ach, die Zeiten, die waren nicht so.
Vielleicht werden einige Geisteswissenschaftler angesichts der zunehmenden Technologiepriorität noch der ehemaligen Geschichts- und Deutschlehrerin Behler nachtrauern. Und auch die Studis, die Behler gerne und scharf kritisierten, zeigen bereits erste Anzeichen von Wehmütigkeit. Behler lasse sie im Stich, weinte etwa der Asta der Uni Bonn ihr nach. Kein Wunder: Mit der Amtsniederlegung Behlers dürften Studienkonten endgültig passé sein.
Gabriele Behler tritt ab als politisch Gescheiterte. Aber das tangiert Visionäre bekanntlich nicht im Herzen. Nach ihrer Parlamentsrede am vergangenen Freitag sagte sie stolz: „Ich übergebe meine Ressorts im Bewusstsein, wichtige Weichenstellungen vorgenommen zu haben – und ich verhehle nicht, dies mit einem gewissen Stolz zu tun.“
ISABELLE SIEMES
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