Männerteile jetzt auch länger zu sehen

Humorvoll, verspielt, monoton: Das Filmprogramm zur Ausstellung „21 x 5 – porno MACHEN“ des Schwulen Museums in den Kinos Xenon und Arsenal

Pornografie ist eben ein Spielfeld mit schönen und unschönen Variablen

von MANFRED HERMES

Bevor ihn Andy Warhol zum ersten männlichen Sexstar machte, der diesen Namen verdiente, hatte Joe Dallesandro seine Brötchen schon lange im Sexgeschäft verdient. Auf den Fotos jener Studios, die auf die Glorifizierung junger, muskulöser Männerkörper spezialisiert waren, hatte er in Jockstraps, nackt oder mit steifem Penis posiert, bevor er in einem ähnlich bescheidenen Rahmen seine ersten Schritte auf Film unternahm.

Nicht zufällig steht daher einer dieser raren, grobkörnigen Dallesandro-Flicks am Anfang einer Filmreihe, die Jürgen Brüning im Rahmen der Ausstellung „21 x 5 – porno MACHEN“ zusammengestellt hat. Er erinnert damit an eine Zeit, als der nackte männliche Körper fast noch einen Schockwert hatte.

Bald darauf startete der Homoporno aber schon Richtung Anspruch durch. Mit Erfolg, denn Filme wie „Pink Narcissus“, „Sex Garage“, „Bijou“ oder „The Back Row“ gehören heute zum Kanon der ewigen avantgardistischen Werte. Die Überschüsse der Dekoration in James Bidgoods „Pink Narcissus“, dessen Oranges und Rosas an Kenneth Anger, Yves St. Laurent und Fotos von Pierre & Gilles erinnern, gelten immer noch als Inbegriff von „schwuler Ästhetik“, obwohl er auch 1971 ein sublimer Einzelfall war und das „Experimentelle“ auch damals sehr verschiedene Formen annehmen konnte. In „Bijou“ zeigte Wakefield Poole mit improvisierten Split Screen-Sequenzen und bühnenhaften Bildern seine Liebe zum visuellen Detail, von den Effekten eines schrammeligen Elektroniksoundtracks ganz zu schweigen. Der Ruf von Filmen wie „Sex Garage“ (1972) von Fred Halstead und „Forbidden Letters“ (1976) von Arthur J. Bressan beruht hingegen auf seiner erstaunlichen Stilsicherheit eines kühlen, schwarzweißen Handkamera-Verité.

Nicht zufällig lässt Brüning nach diesen Filmen eine Lücke von zwanzig Jahren klaffen. Da er sich eher auf extravagante oder verspielte, kurz: stilistisch interessante Versuche beschränken wollte, macht dieser Bruch natürlich Sinn. Denn in den Achtzigerjahren konsolidierte der Schwulenporno, auch unter dem Einfluss neuer Vertriebswege (Videothek) und Rezeptionsformen (schneller Vorlauf) eher in Richtung Stromlinienform.

Erst seit den Neunzigerjahren werden endlich weniger gefönte Zugänge möglich, diesmal unter dem Einfluss verschiedener künstlerischer und sexueller Kulturen. So hat Bruce LaBruce seit „No Skin Off My Ass“ immer mit pornografischen Elementen gearbeitet. Insofern war ein Übergang zu „richtiger“ Pornografie kein großer Schnitt. Für die Berliner Cazzo Film hat er inzwischen zwei Filme gedreht, deren entschärfte Versionen auch auf Filmfestivals laufen. Aber selbst im Hardcore-Bereich konnte er gewisse Merkmale seines Humors und Collagestils, zwischen Nazisymbolik, Skin-Fetisch, Anarcho und Einbauküche schillernd, durchhalten. Allerdings kann nun auch bei ihm die einzelne Sexszene in einer Monotonie erschlaffen, die der Tribut an die hier nun mal geltenden Regeln ist.

Wenn man feststellen kann, dass die USA auch den Pornobereich seit fast einem halben Jahrhundert komplett dominieren, so scheinen sich die hier avisierten „stilistisch interessanten“ Formen aber doch eher an der Peripherie entstanden zu sein. Der Aufstieg von Cazzo zum Markenzeichen ging damit einher, insofern ist auch das Heimspiel berechtigt, das diese Firma mit „Skin Gang“, „Dangerous Island“ und „Bonking Berlin Bastards“ geben kann.

Übrigens ist auch ein Beitrag von Lars von Triers Erotika-Sublabel Hot Male mit „Hot Men Cool Boys“ (2000) vertreten: Knud Vesterkovs „erotisk bøssefilm“ schichtet elektronische Räume aus Pflanzen, Ketten und Körpern und schließt sich so mit ästhetischen Lösungen der Fünfziger- und Sechzigerjahre kurz. Ein anderer besonders schräger Film kommt aus England. In „Piccadilly Pickups“ (1999) von Amory Peart werden die im Schwulenporno immer noch verbindlichen ultramännlichen Stile einer Revision unterzogen und mit Geschlechterrollen experimenteller hantiert.

Pornografisch effektiver sind aber wohl Schwebezustände zwischen Fiktionalität und Dokumentation. Auf die hat es die „mock documentary“ „Porno“ des Regisseurs Kris Kramski angelegt.

Kramski, einer der wenigen „auteurs“ des, Achtung!, US-Heteropornos, liefert dennoch eine der Gemmen dieses Programms. Der entspannt selbstreflexive Schwarzweißfilm folgt dem Sexgeschäft bis in seine Lagerhallen, Kopierregale und Fickräume, bevor er am Schluss leider Mist baut.

Pornografie ist eben ein Spielfeld mit schönen und unschönen Variablen. Welche Autorin hat an dieser Stelle kürzlich nachgerechnet, dass Männerteile in Spielfilmen immer so viel kürzer als die von Frauen zu sehen seien? Diesem Mangel wird nun an elf Terminen abgeholfen.

15. 11. 2002–31. 1. 2003 jeweils im Arsenal und im Xenon, genaue Termine siehe Programm. Die Ausstellung „21 x 5 – porno MACHEN“ läuft bis zum 17. 2. 2003 im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg