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Was wir von Maos Erben möchten

Von Hongkong aus mit Eleganz das Mutterland erobern

Politik geht durch den Magen. Zwischen einer Stäbchenladung Hühnerfleisch und gesalzenen Erdnüssen in der Mensa des Bildungsforschungsinstituts in Peking erinnert sich Wei Pengfei an den Beginn seiner Parteikarriere. „Anfang der Sechzigerjahre haben wir gehört, wie gut das Leben in der Sowjetunion ist, die Leute hatten dort alle Brot, Milch und Eier zu essen“, sagt der 65-jährige Kommunist. Mit einem Ruck legt er seine Essstäbchen aus der Hand: „Deshalb bin ich in die Partei eingetreten. Ich wollte mithelfen, dass alle genug zu essen hatten.“

Inzwischen ist das Ziel seit langem erreicht. Wei erklärt den Erfolg pragmatisch: „Deng Xiaoping hat die Markwirtschaft eingeführt. Heute zählen nur noch die Fähigkeiten des Einzelnen.“

Wei leitete neun Jahre lang, von 1988 bis 1997, die Abteilung für nationale Minderheiten im nationalen Bildungsministerium. Der energische Kader mit den glänzend schwarzen Haaren gehört der Zhuang-Nationalität an, mit 15,6 Millionen Menschen die größte ethnische Minorität der Volksrepublik. Auch nach seiner offiziellen Pensionierung ist Wei weiter für das Ministerium aktiv, er vermittelt Kontakte oder hilft Schulen in armen Regionen, zu denen auch seine Heimatprovinz Guangxi zählt. „Auf die Partei warten noch viele neue Aufgaben in diesem Jahrtausend“, sagt Wei und lässt die Faust auf den Tisch fallen, dass der jüngere Kollege neben ihm zusammenzuckt.

Die neue ideologische Linie hat der Bildungsbeauftragte schon verinnerlicht: Fortschrittliche Produktionskräfte braucht die Partei. Zweifel und Kritik seiner Weggefährten an der Losung des noch amtierenden Staats- und Parteichefs Jiang Zemin kann er nicht verstehen. „Jiang hat gesagt, dass wir ‚mit der Zeit vorangehen müssen‘. Es ist nicht mehr wie bei Marx, wo alles vorherbestimmt war“, verteidigt Wei das Motto des laufenden Parteitages. Wer die neue Linie der KP ablehne, habe die heutige Zeit nicht verstanden. Auch Bauern könnten heute zu den „fortschrittlichen Produktionskräften“ zählen, sagt er.

Anscheinend mühelos folgt er der Kommunistischen Partei auf ihren neuen Pfaden. Viele Genossen seines Alters tun sich dagegen schwer damit, die Partei Maos für Aktienmakler und Firmenbosse zu öffnen. Konkurrenz und Kapital bleiben für sie Feindbilder. Ganz anders Wei: „Heute beherrscht hier jeder im Bildungsministerium Englisch, nur so kann China in der Zukunft mithalten“, sagt der unerschütterliche Parteioptimist. „Wenn einige nun zuerst reich geworden sind, wie es Deng Xiaoping gewollt hat, so ermutigt dass die anderen. Jeder fühlt den Druck, und das ist ein Anreiz, um sich anzustrengen.“ So spricht aus Wei auch ein strenger Lehrer. Nicht nur in neuen kommunistischen Leitlinien, sondern in alter konfuzianischer Tradition.

Ohne Genuss gibt es für Liang Chengwei kein Geschäft. „Mit gutem Essen bekommt man jeden dorthin, wo man ihn haben will“, sagt der Unternehmer lächelnd und gleitet gekonnt in einen weinroten Ledersessel im V.I.P-Raum des Pekinger Tianlun Dynasty Hotels. Mit Gourmet-Restaurants nach Hongkonger Art erobert der prämierte Meisterkoch aus der ehemaligen britischen Kolonie die Volksrepublik. Sein Unternehmen, das seinen Namen und sein Konterfei trägt, hat bereits in zehn Städten außerhalb Hongkongs Filialen eröffnet.

Der Mittvierziger mit dem makellosen Gesicht spricht betont höflich und wohlklingend. „Es gibt hier viele Möglichkeiten, China entwickelt sich so gut.“ Beiläufig setzt Liang seine Unterschrift unter ein Fax, das ein aufgeregter Page ihm entgegenhält. Politisch hat sich für Liang alles zum Besten ergeben. „Mao Zedong hat unser Mutterland gegründet, Deng hat ein sehr angenehmes wirtschaftliches Klima geschaffen, und Jiang Zemin hat Hongkong wieder zum Mutterland zurückgeholt.“ Lächend streicht sich der Hongkonger über den schwarz glänzenden Anzug und setzt hinzu: „Deshalb darf ich heute hier sein.“

Dass auch die neue Parteiführung nach dem 16. Parteitag den Kurs der wirtschaftlichen Liberalisierung beibehalten wird, steht für Liang außer Frage. „Großes Vertrauen“ setze er in die Partei, die dem Wirtschaftswachstum oberste Priorität einräume. „Stimmt das nicht, Cao Rui?“ Strahlend blickt der Hongkonger hinüber zu seinem Vize-Manager, dessen Mobiltelefon nahezu ununterbrochen klingelt. „Ich habe dich aus der Partei mit ins Boot geholt“, sagt er. Cao, in Anzughose und Jeanshemd, lächelt verlegen. Als Bürgermeister-Sekretär in einer südchinesischen Provinzstadt gehörte Cao zu den Stammkunden eines Liang-Restaurant. Der Hongkonger Chef konnte den flinken Südchinesen für seine Geschäfte gewinnen. „Beim Bürgermeister war ich immer nur der Ausführende, nun kann ich etwas Eigenes auf die Beine stellen“, begründet der Exkader seine Entscheidung. Seine alten Kontakte zu Partei- und Regierungsorganisationen öffnen Liang heute oft verschlossene Türen.

Liang bleibt Genussmensch. Als Meister der schönen Künste schreibt er an diesem Tag Kalligrafien für einen Besuch beim Bürgermeister der Hafenstadt Tianjin nahe Peking. Einer mitgereisten Reporterin aus Hongkong macht er dabei blumige Komplimente und lädt sie samt ihrer Freunde wie selbstverständlich zum selbst gekochten Essen ein. Liang bewegt sich mit der Eleganz eines schwarzen Panters durch die Geschäftswelt. Am liebsten allerdings weitab von seiner Heimat Hongkong: „Sicher, die Presse und die Gesellschaft in Hongkong sind freier als hier in Nordchina, aber ich bin überzeugt, dass der 16. Parteitag unter dem Primat der wirtschaftlichen Entwicklung auch in die Richtung der politischen Öffnung steuert.“ Sehr ernst gemeint aber klingt das nicht. Hier treffen sich Unternehmer- und Parteiinteressen. Man weiß um die gegenseitige Abhängigkeit, wenn der stabilisierende Pakt gelingen soll.

Jeden Handgriff hat Pang Honghua schon zigtausend Mal gemacht. So kann die Wanderarbeiterin aus der Provinz Hunan am Gelben Fluss mit ihren Pekinger Kunden plaudern, während sie ihre Baumwolldecken neu ausfüttert. Mit Hilfe eines langen Bambusstocks spannt sie zunächst weißes Garn in diagonalen Bahnen von Holzstift zu Holzstift, welche rundherum auf dem zwei mal ein Meter großen Rahmen angebracht sind. Pang ist jeden Tag hier in einer kleinen Gasse im Südwesten von Peking. „Manchmal jagt mich die Polizei auch weg“, sagt die sonnengebräunte Mittdreißigerin. Ohne Wohnsitz und Geschäftslizenz müssen Pang und ihr Mann immer auf der Hut sein.

Seit Juli lebt das Ehepaar in der Stadt. Wegen der großen Überschwemmungen in der Heimat fanden sie dort keine Arbeit mehr. So ließ Pang ihre zwei Töchter bei Verwandten, um in der Hauptstadt Geld zu verdienen. Mit neuer Baumwolle setzt sich Pang an eine mit Fußpedalen betriebene Pressmaschine. Umgerechnet 35 Euro, zwei Monatsgehälter ihrer Familie, hat das Pressgerät gekostet. Sie legt den flachen Teppich auf das Garnnetz in den Rahmen, glättet diesen mit einem Holzbrett und verschnürt ihn flink mit dem Garn. „Das habe ich von meiner Mutter gelernt, davon verstehe ich was“, sagt sie lachend, „aber von Politik verstehe ich nichts, das liegt nicht in meinen Händen.“

Liberalisierung? Die Gesetze des Marktes kennt sie längst

Die Kommunistische Partei ist der Arbeiterin im weißen Rollkragenpullover immer fern geblieben. Nicht einmal den Platz des Himmlischen Friedens, das politische Zentrum Pekings, hat sie bislang besucht. Das sei zu weit von ihrem Kellerunterschlupf entfernt und dort gäbe es bestimmt auch keine Kunden, erklärt Pang.

Auch in ihrem früheren Leben auf dem Dorf ist sie den Kommunisten nicht begegnet. „Wo gibt es bei uns Reformen, wir haben ja noch nicht mal Strom“, sagt Pang nüchtern. Sogar den bekanntesten Chinesen ihrer Heimatprovinz Hunan, Mao Zedong, lässt die Baumwollarbeiterin nicht an sich heran. „Hunan ist groß“, kommentiert sie schlicht. Die kleine Frau löst die verschnürte Baumwolle vorsichtig vom Holzgestell und steckt sie in einen Leinenbezug. Sie sagt: „Wenn wir etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf haben, dann bin ich mit der Regierung zufrieden, dann ist mir auch egal, wer an der Spitze ist.“ Die Kundin, die die Decke in Empfang nimmt, nickt beiläufig.

Ihr Geschäft läuft gut an diesem Tag. Eine neue Kundin, eine gut gekleidete Pekingerin, fragt nach den Preisen für eine Deckenfütterung. Pang erklärt ihr die Zusammensetzung der Kosten für Material und Verarbeitung. Die Kundin reagiert heftig: „Wie kannst du solche Preise nehmen?“, schreit sie Pang an. Die Wanderarbeiterin legt den Bambusstock aus der Hand und antwortet selbstbewusst: „Dann füttere die Decke doch selbst!“. Pang Honghua weiß, was sie kann, und sie kennt die Gesetze des Marktes. Sie hat längst gelernt, sich durchzuschlagen – auch ohne Hilfe der Kommunistischen Partei.

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