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Bremen wird kein Roncalli-Circus

Eine hitzige Bürgerschafts-Debatte zum Kampf um Einwohner trägt Züge des bevorstehenden Wahlkampfs: Henning Scherf ist so, wie die Grünen es sich wünschen, die CDU applaudiert dem Bürgermeister, die SPD weiß nicht, wo ihr Herz schlägt

Der CDU-Abgeordnete Helmut Pflugradt geriet in Rage: „Die Hemelinger Marsch, die Arberger Marsch, die A 281, das LKW-Führungsnetz und der Hemelinger Tunnel“, zählte er einige Bauprojekte der großen Koalition auf, „hätten Sie‘s mit den Grünen gemacht? Nein!“. Sein Unmut richtete sich gegen SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen, der sich zuvor mit der Forderung nach mehr Wohn- und Lebensqualität von der Sanierungsstrategie des Koalitionspartners abgesetzt hatte.

Hintergrund des gestrigen Streits in der Bürgerschaft ist ein Bericht der „Steuerungsgruppe Einwohner/Arbeitplätze“. Daraus geht hervor, dass das Land in den nächsten 17 Jahren dramatisch schrumpft. Bremen um 30.000 Einwohner oder 5,2 Prozent, Bremerhaven um 31.000 Menschen oder 25 Prozent. Seit die Zahlen bekannt sind, streiten SPD und CDU um den besten Weg, Einwohner in Bremen zu halten. Pflugradt betonte, für die CDU läge der Schwerpunkt darin, Arbeitsplätze in Bremen zu schaffen und eine entsprechend Infrastuktur – Straßen und Bauflächen – vorzuhalten. Nur Dank der CDU, so Pflugradt, sei es gelungen, sich vom bundesweiten Trend der Arbeitslosenzahlen abzukoppeln – auch wenn Bremenmit 13 Prozent nach wie vor die höchste Quote in den alten Bundesländern erreicht.

Böhrnsen beteuerte für die SPD, sie würde die Bedeutung von Arbeitsplätzen nicht unterschätzen. Dass aber „die Bereiche Umwelt, Natur, Sicherheit, Sport, Kultur und Kindererziehung auf nicht mal drei Seiten von den immerhin 74 Berichtseiten abgehandelt werden“, beweise eine falsche Prioritätensetzung. Denn dabei handle es sich nicht um „Sahnehäubchen“, sondern um „wichtige und notwendige Bestandteile der Sanierung“. Während Bürgermeister Henning Scherf (SPD) skeptisch von der Senatsbank blickte und die CDU keinen Finger rührte, klopften die Grünen kräftig aufs Holz.

„Jetzt sind die Zahlen auf dem Tisch, um die sie sich immer herummogeln wollten“, sagte die baupolitische Sprecherin der Grünen, Karin Krusche. Dabei habe die Große Koalition mit dem Versprechen begonnen, für 50.000 neue Einwohner und 40.000 Arbeitsplätze zu sorgen. Krusche warnte davor, mit großflächigen Bauplätzen den ins Umland abwandernden Familien hinterherzulaufen: „In zwanzig Jahren wohnt da kein Mensch mehr“. Die Kosten für die Infrastruktur, die man in Neubaugebieten kommunal finanzieren müsse, seien hoch und „belasten künftige Generationen“. Stattdessen müsse man die Stadtteile stärken, „damit die Leute hier bleiben und sich wohl fühlen“. Eine Stadt mit guten Kindergärten, Schulen und Hochschulen behalte ihre Einwohner und gewinne neue hinzu. Diese Strategie, so das eindeutige Angebot der Grünen, könne man mit der SPD zusammen umsetzen.

„Ich bin genau, wie Frau Krusche sich das wünscht“, sagte Henning Scherf in Anspielung auf sein innerstädtisches „urbanes“ Wohnquartier. „Aber es gibt auch noch andere Menschen“. In Landesvater-Manier sprach er von der mit dem Bericht der Steuerungsgruppe offengelegten „schwierigen Ausgangslage“. Der Bericht aber sei nur die Grundlage, auf der jetzt politisch Prioritäten gesetzt werden können. „Wir dürfen als Politiker nicht sagen, alles ist gleichwichtig“ mahnte er seinen Parteikollegen Böhrnsen. Und an die Adresse der Grünen: „Sie können sich nicht in die Regierung mogeln“. Für‘s nett sein werde man nicht gewählt, sondern „für die Sanierungskraft“. „Bremen wird kein Roncalli-Zirkus“, so der Bürgermeister. Weiter:„Wenn es nach mir geht, dann hat das Thema Beschäftigung erste Priorität“. Sprach‘s und erntete tosenden Applaus – von der CDU. Elke Heyduck

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