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Gesucht: Ein Lied für …

Wie muss, wie darf, wie sollte ein Text für einen Popsong sein? Feinfühlig oder gröber? Drastisch oder subtil? Überhaupt: Muss man als Autor oder Autorin eines erfolgreichen Liedes Abitur haben?

Jedes Jahr das gleiche Gemecker: „Klischees in Zucker“ (über Michelles „Wer Liebe lebt“), „Gestammel als ultimative Verarsche“ (zu Stefan Raabs „Wadde hadde dudde da“) oder „Allgemeinplatz der übelsten Sorte“ (über Corinna Mays „I Can’t Live Without Music“). Die linguistisch inspirierte Kritik an der Textur eines gewöhnlichen Liedes aus der Unterhaltungsbranche gleicht sich wie ein – sagen wir: Kalauer. Selbst der berühmte Textdichter Friedrich Hollaender („Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“) musste sich stets gegen den Vorwurf wehren, er produziere nur Gebrauchsreime. Wozu Reime sonst da seien, verriet diese Kritik nicht.

Tatsächlich muss bedacht werden, wenn man Zeilen für einen Song schreibt, dass die Worte nur den Sound füttern, streicheln, bekräftigen und, sowieso, beglaubigen. Kein noch so gute Lyrik kann eine miese Melodie oder ein verpatztes Arrangement wettmachen. Einer, der ernsthaft glaubt, „Meine Träume in deinen Händen“ könne im Stile einer Zeitansage vorgetragen werden, wird merken, dass eben das nicht funktioniert.

Will ein Lied die Idee der Liebe (oder ihr Scheitern, ihre Kosten, ihre Triumphe) erörtern, muss die Komposition dazu passen – dramatisch, leicht, hochmütig, weinerlich, aber nie teilnahmslos. Der Text folgt der Musik – und gibt ihr erst die rechte Bedeutung. Der Song der dänischen Olsen Brothers, mit dem sie vor zweieinhalb den Eurovision Song Contest in Stockholm gewannen („Fly On The Wings Of Love“), eine Hymne an die Schönheit älter werdender Frauen, floss tatsächlich auf einer melodischen Woge – und die Zeilen konnten sich deshalb umso tiefer in die Sinne ihrer Zuhörer eingraben.

Obendrein war dieser Song von zwei älteren Männern interpretiert: Was ihrer Glaubwürdigkeit wahrlich nicht schadete. Hätten sie, beispielsweise, Kompositionen des Senegalesen Youssou N’Dour gesungen („7 Seconds“), wären sie vermutlich als alberne Ethnokopisten abgetan worden. Kurzum: Erzählen Sie Geschichten. Am besten solche, die ans Herzen gehen. Die und in denen man sich erkennt. Hören Sie sich das legendäre „Mendocino“ von Michael Holm an: keine Zeile, die sich reimt – ein einfaches Lied, das zum Hit wurde, weil es in dreieinhalb Minuten eine Story mitzuteilen wusste.

Scheuen Sie keine Banalitäten. Wenn Sie Ihrer Liebsten oder Ihrem Geliebten „Ich liebe dich“ zuflüstern, macht sie oder er Ihnen ja auch nicht den Vorwurf, dass dieser Satz schon Trillionen Mal formuliert wurde. Aber dieser Satz belegt auch, dass er nur geglaubt wird, wenn er im treffenden Sound geäußert wird: Gelangweilt geäußert, dementiert der Klang die Aussage – und das ist schmerzlicher als eine sehr, sehr traurige Ballade, sagen wir, von Sinead O’Connor.

Verabschieden Sie sich ohnehin von der Idee, dass der Grand Prix Eurovision ein Songwettstreit ist, der die europäische Idee, gar ihre Vertragswerke zum Inhalt haben muss. Außer in Deutschland nimmt man politische Entwürfe in Noten eher übel. Man will keine Staatsbürgerkunde, wenn es um die Liebe geht. Und nur um die geht es, wenn man vom Thema Sex absieht. Sechs wichtige Themen hat die Popmusik, und die sind: Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, Liebe und Sex. Aber letzterer Punkt nur dann, wenn er nicht allzu drastisch verhandelt wird. Aber weil Liebe vieles bedeutet, werden deren Aspekte in Texte gegossen. Also solche wie Sehnsucht, Abschied, Erfüllung, Zweisamkeit – und gelegentlich deren Schattenseiten: „Dann heirat’ doch dein Büro“.

Die größten Hits in den vergangenen Jahrzehnten – in Deutschland – waren Liebeslieder der mal subtilen, mal trotzig-bekennenden Sorte: Rio Reisers „Für immer und dich“ (flehentlich), „Flugzeuge im Bauch“ (hilflos) oder „Ich lieb’ dich überhaupt nicht mehr“ (wehmütig) oder „Verdammt, ich lieb’ dich“ (knarzig). Frauen wie Dahlia Lavi oder Ina Deter sangen Lieder wie „Oh, wann kommst du“ oder „Wenn du so bist wie dein Lachen“: gelehrige Beispiele für intelligentes Songwriting, die leider viel zu selten nachgeahmt wurden.

Meiden Sie unbedingt Weltverbesserungslyrik. So komplexe Geschichten wie Arbeitslosigkeit oder Globalisierung. Ralph Siegel („Träume sind für alle da“) ist darin unschlagbarer Meister, textlich kongenial unterstützt von Bernd Meinunger: Gute Musik will nicht belehren, sondern fühlen lassen – und dafür braucht man kein Abitur, denn das ist eine Reifeprüfung ganz anderer Art. Europa hat genug von Deutschlands Schlagersozialdemokratie: Es will hören, wie hier empfunden wird. Popmusik ist dann, wenn deren Songs für jeden anders magisch sind. Texte sind insofern immer eine Spur vage und zugleich konkret. Trauen Sie sich! JAN FEDDERSEN

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