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Gepflegter Antisemitismus

Der stellvertretende Bürgermeister, Lehrer und hochrangige CDU Politiker Hendrik Hamer bleibt demonstrativ der offiziellen Einweihung einer jüdischen Gedenkstätte fern

„Ich wollte niemandem weh tun. Ich habe als Protestant selbst Diskriminierung erleben müssen“

Der Holocaust wird in der ostfriesischen Kleinstadt Leer „instrumentalisiert“. Dieser Meinung ist der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, Hendrik Hamer von der CDU. Mit dieser Begründung blieb er am 11. November demonstrativ der feierlichen Einweihung eines Mahnmales gegen die Judenverfolgung und Ausrottung der jüdischen Gemeinde der Stadt durch die Nationalsozialisten fern. Kurz vor der Einweihung teilte Hamer in einer Presseerklärung seine Entscheidung mit.

„Wir haben aktuell andere Probleme als Denkmale zu setzen“, so Hamer zur taz. Und das sind Hamers Meinung nach die aktuellen Probleme: „Die Zahl der Ausländer in unseren Schulklassen ist nicht mehr vertretbar.“ Er ist auch stellvertretender Direktor der Berufsbildenden Schulen I (BBS I). „Ich weiß nicht, was den Mann geritten hat, entweder extreme Dummheit oder politischer Druck seiner Fraktion“, versucht ein politischer Weggefährte Hamers Aussage zu erklären.

„Es war mir ein Bedürfnis, zur Einweihung des Judenmahnmals nicht zu erscheinen“, meint der stellvertretende Bürgermeister, der auch Vorsitzender der CDU in Leer ist. „Meine Fraktion habe ich informiert.“ Die stehe „geschlossen hinter Hamer“, betont CDU-Fraktionschef Walter Düngemann. „Hamers Äußerungen sind empörend und nicht tolerierbar“, schimpft dagegen Bürgermeister Wolfgang Kellner (parteilos). Und weiter : „Sie sind ein Schlag ins Gesicht vieler Menschen, besonders von Jugendlichen, die sich engagieren.“ SchülerInnen der BBS I hatten die Einweihungsfeier mit vorbereitet. SchülerInnen der BBS II hatten außerdem zum Thema im Rathaus eine Ausstellung vorbereitet.

Beide Berufsschulen bewerben sich derzeit um den Titel „Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“. Hamer dagegen glaubt nicht, „dass ich ein falsches Zeichen gesetzt habe, aber ich werde mit meinen Schülern darüber reden.“

Elke Begemann, die Direktorin der BBS I, stellt klar, dass sie über Hamers Fernbleiben informiert war: „Er trennt sein politisches Amt von seiner Aufgabe als Pädagoge. In offiziellem Rahmen wird hier nicht über seine Aktion geredet“.

SPD und Grüne forderten indessen Hamers Rücktritt als stellvertretender Bürgermeister. Der will natürlich auf seinem Posten bleiben: „Ich trete nicht zurück.“

In Leer herrscht Entsetzen, weil Hamer bislang nicht mit antisemitischen Sprüchen oder rechtsradikalen Aktionen in Verbindung gebracht wurde. Jetzt erklärt er: „Die Stadt hat schon mehr als genug für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus getan. Sicher war die Stadt nach 1933 eine Nazihochburg. Aber immerhin haben wir schon zwei Mahnmale in der Stadt. Das reicht.“

Tatsächlich gibt es in Leer einen unscheinbaren Findling als Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus und eine fast unleserliche Waschbetonplatte an der Stelle der ehemaligen Synagoge.

Die war in der „Reichskristallnacht“ unter der Führung des damaligen Bürgermeisters Erich Drescher abgebrannt worden. Seit Jahren kämpfen Privatleute, Vereine und Kirchen um eine würdige Gedenkstätte. Die hat die Stadt jetzt in der Nähe der ehemaligen Synagoge errichtet. Während viele CDU-Stadträte gegen die Errichtung des Mahnmales stimmten, sprach sich Hamer im Stadtrat für das Mahnmal aus, enthielt sich aber während der Abstimmung.

Kurioserweise hat jetzt die Allgemeine Wähler Gruppe (AWG) einen Antrag zur Abwahl Hamers als Bürgermeister gestellt. AWG-Chef Gerd Koch ist ein stadtbekannter Polit-Rüpel und bereits wegen rechtsradikaler und antisemitischer Sprüche verurteilt. Seiner Popularität hat das nicht geschadet. Nach Bürgermeister Kellner bekam er die meisten Stimmen bei der letzten Bürgermeisterwahl. Wegen seiner antisemitischen Sprüche hat Koch sogar bei der Bundeswehr Hausverbot.

Hendrik Hamer nimmt den Aufruhr gelassen hin: „Ich wollte niemandem weh tun. Ich selbst habe als Protestant im Ruhrgebiet Diskriminierung erleben müssen. Da wurde man ja in der Klasse ständig von den Katholiken getreten.“ T. Schumacher

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