: Ein Vers brennt
Gott weiß, ich will ein Dichter sein: Der Rammstein-Sänger Till Lindemann hat seinen ersten Lyrikband veröffentlicht. Die Gedichte in „Messer“ erzählen vom Weltende – und nicht zuletzt vom Älterwerden
von KOLJA MENSING
„Also, Frohsinn …“, sagt Till Lindemann, Sänger von Rammstein und neuerdings Lyriker im Nebenberuf, „das nimmt mir sowieso keiner ab. Und dazu fällt mir auch einfach nichts ein.“
Spricht’s und blickt in den Novembermorgen, der sich draußen vor der verglasten Fassade im 23. Stock der Treptowers weit über das Land östlich von Berlin erstreckt. „Andromeda ich kann dich sehen / warst nie so nah wie dieser Tage“, heißt es in einem der Gedichte aus dem Band mit dem schlichten Titel „Messer“. Das Schicksal reitet auf weißen Pferden, und Stein auf Stein entstehen hohe Türme, in die der Tod bereits Einzug gehalten hat: „Viva Andromeda“. Noch Fragen?
In diesem Moment – 11.13 Uhr – wird in den Treptowers der Alarm ausgelöst. Die Angestellten der Allianz-Versicherung, die den größten Teil des Hochhauses belegt hat, verlassen geordnet das Gebäude. Till Lindemann bleibt sitzen: „Da hinten kommt Bin Laden“, sagt er und zeigt auf ein Flugzeug, das sich vom Flughafen Schönefeld den Treptowers nähert. Till Lindemann ist ein Schmerzensmann, der sich auch mal locker machen kann. Noch Kaffee? Oder lieber Wasser?
Zehn Minuten später wird der Alarm abgestellt. Es war wohl doch nur eine Übung. Reden wir also über Gedichte. „Hab ich mir einfach so von der Seele geschrieben“, sagt Lindemann, und bei „Viva Andromeda“ war auch eine Flasche Rum im Spiel, die er in Venezuela am Strand geleert hat. Seine eigenen Verse will er allerdings nicht erklären: „Ich find’s aber gut, wenn andere eine Meinung dazu haben.“
Ordentliche Gedichte sind das schon, trauriges Zeug zum größten Teil. Es geht um Tod und Krankheit, Eiterfluss, Gedärm und „gieriges Geschlecht“. Vom barocken Weltende zu den expressionistischen Wasserleichen, von blutroten romantischen Abendstimmungen bis hin zu den sterbenden Tänzerinnen des Fin de Siècle hat Till Lindemann alles mitgenommen, was nach Verfall und Untergang riecht. Hier und da berührt der persönliche Ton, und manches ist wohl einfach nicht ernst gemeint: „ein kleines Boot im Flammenmeer / kein Land in Sicht nicht Feuerwehr“.
Reim dich oder ich peitsch dich: Natürlich denkt man an die Texte von Rammstein, schmutzig, pathetisch und mit dem Hammer gemacht. Bück dich, Metrum! Till Lindemann will seine Band allerdings lieber aus seinen Gedichten heraushalten. Musik ist ja eine „Zwangsjacke“, sagt er. Gedichte schreiben, das ist „als ob du aus dem Käfig herauskommst“. Ist „Messer“ Till Lindemanns Ausbruch aus dem Rockzirkus? „Nein.“ Die nächste Rammstein-CD ist schon in Vorbereitung. „Aber man muss wissen, wann Schluss ist.“
Till Lindemann ist 39. Alt ist das nicht, doch die Fotos, die Jens Rötzsch gemeinsam mit dem Rammstein-Bühnenregisseur und -Lichtdesigner Gert Hof für den Gedichtband inszeniert hat, erzählen eine andere Geschichte: Lindemann mit kahl rasiertem Schädel, die Falten und Poren mit weißer Schminke nicht verdeckt, sondern erst herausgebracht, posiert neben jugendlichen Plastikpuppen. Es sind die Porträts einer Kunstfigur, die in die Jahre gekommen ist. Auch Rockstars werden älter.
Wann also ist Schluss? „Wenn das Zahnfleisch zurückgeht. Wenn die Kinder mit dem Finger auf dich zeigen.“ Und dann? „Auf einer Bank sitzen und mit dem Krückstock eine Fotze in den Sand malen, hat mal ein Freund von mir gesagt.“ Till Lindemann lächelt. Zur Not kann er später ja auch noch ein paar Gedichte schreiben.
Bis zum nächsten Buch also. Unten, im Foyer des Hochhauses, wird gerade ordnungsgemäß das Ende der Evakuierungsübung eingeleitet. Der Hausmeister hat einen Geigerzähler in der Hand, die ersten Angestellten drängeln zurück in die Fahrstühle. Junge Menschen mit gepflegten Zähnen, Designerbrillen und polierten Schuhen fahren wieder in den Himmel auf. Viva Andromeda: „In blanker Rüstung steht mein Heer / von ach zehntausend Illusionen.“ Passt doch. Till Lindemann ist ein Dichter, dem man jedes Wort glaubt. Und das kommt ja selten genug vor.
Till Lindemann: „Messer“. Eichborn, Frankfurt a. M. 2002. 142 S., 29,90 €
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