peter unfried über Charts: Die Farbe von Doldingers Kacka
Alles viel schlimmer: Paare mit Kindern sind der blanke Horror. Es hilft nur eins: Meiden!
Die letzten „Charts“ enthielten einen Undercover-Enthüllungsbericht über das Leben unserer rauchenden Singles: kein Sex und keine Kinder. Alles leider wahr, hieß es bei den Betroffenen, aber Paare mit Kindern seien „noch viel ärmere Schweine“. Stimmt das? Ein zweiter Frontbericht.
Einmal im Monat ist der rauchende Single Karl E. (39) bei seinem ehemaligen besten Freund eingeladen. Der war mal normal, relativ. Lustig, halbintelligent, interessierte sich für Biere, für die Bedienungen, die sie ranschleppten, und natürlich für Fußball. Dann der Schock: Mit Mitte 30 gab er einfach auf, wurde Teil eines „Package“, eines Paares mit zwei Kindern. Seither vegetiert er dahin – und erwartet auch noch, dass diese deprimierende Lebensleistung gewürdigt wird.
Wenn Karl also mal wieder zu seinem alten Freund muss, grübelt er immer angestrengt, ob ihm ein, zwei Dinge einfallen, die entfernt mit den Tölen zu tun haben könnten. Natürlich kann er sich nicht mal an die blöden Namen erinnern. Hatte der Arsch in den monatelangen Namensfindungsphasen nicht immer alle genervt mit seinen Theorien über „unprätentiöse, aber einzigartige Namen“, die es „speziell im Jazz-Rock“ auszuleihen gäbe? Hm. Chick & Herbie? Klaus & Doldinger? Miles & More? Wäre alles kein Problem, wenn E. die ganzen superlustigen Geburts-E-Mails speichern würde, die er so kriegt. Aber solche Mails löscht er immer sofort. Brrr.
Ohne Ahnung von der Materie (Alter? Geschlecht? Ansteckende Krankheiten?) ist eine Nachfrage aber immer gefährlich. Man brabbelt aus ehrlichem Desinteresse den scheinbar harmlosesten Blabla („Kann denn der kleine Doldinger schon allein Kacka?“) – und schon hat man verschissen. Wenn er’s kann („Er ist fünf, Karl!“), und erst recht (betretenes Schweigen), wenn nicht. Zur Strafe wird E. regelmäßig auf den Balkon rausgeschickt.
Sein Exfreund kommt mit. Manchmal. Dann erklärt er ihm noch mal genau, wie das mit dem Kacka von Doldinger so gelaufen ist in den letzten Jahren. Es ist eiskalt, Kuhnacht. Aber erstens darf man in der Wohnung natürlich nicht rauchen – Doldinger hat sehr empfindliche Bronchien. Zweitens darf man in der Wohnung zwischen 20.35 Uhr und Mitternacht nur flüstern – wenn Doldinger in der Zeit noch mal aufwacht, bekommt er angeblich Durchfall.
Dann die Hauptunterhaltung. Es geht darum, Themen zu besetzen, die es Paaren mit Kindern zumindest erschweren, über ihr Hauptthema zu reden – ihre Kinder.
Karl E.: „Äh …“
Paar mit Kindern (zischend): „Psscht! Doldinger schläft!“
Karl E. (eingeschüchtert flüsternd): „Äh, habt ihr …“ (Paare mit Kindern muss man ja immer mit Ihr anreden) „… den neuen Kaurismäki gesehen?“
Paar mit Kindern (seufzend): „Hach. Wir wollten. Aber dann war das Kacka von dem Doldinger plötzlich sooo …“ Folgt: stundenlanges Geflüstere über Kacka-Farben und ihre möglichen Bedeutungen.
Neuer Versuch. Karl E. (vergesslich): „Äh …“
Paar (streng): „Psssscht!“
Karl E.: „… wird bei euch eigentlich gebaut?“
Sein Exfreund (plötzlich selber laut): „Hahaha. Neulich. Da kamen wir an der Baustelle vorbei. Und da sagte die Ella-Sophie … hahaha. Was sagte die Ella-Sophie da, Mutti?“
Mutti (flüsternd): „Die Ella-Sophie sagte: ‚Wird bei uns gebaut?‘“ So ein Paar mit Kindern kann darüber ungelogen fünf Minuten glucksen. Mit der Hand vor dem Mund. Währenddessen schüttelt E. sich bei dem Gedanken, dass ihm die Mutti vor Jahren in einem erotischen Traum erschienen war. Vor Jahren, wie gesagt. Aber trotzdem.*
Okay, nicht übertreiben. Natürlich reden solche Paare mit Kindern manchmal schon auch über Gegenwartskultur. E. war mal dabei, als sie die Harald Schmidt Show anschauten. Karls Exfreund, nach kaum einer halben Stunde synchronem Gähnen: „Hat der Schmidt nicht auch zwei Kinder, Mutti?“
Mutti: „Nee, drei.“
Beide: „Arme Sau, hahaha.“
Das halten sie für Selbstironie.
Um das ganze Ausmaß klar zu machen: Auch Paare mit Kindern kriegen die Krätze, wenn sie zu Paaren mit Kindern müssen. Auch Paare mit Kindern hassen es, über Kinder zu reden. Über anderer Leute Kinder. Und je älter die eigenen Kinder, desto schwerer zu ertragen sind die Geschichten von Jungpaaren („Ihr glaubt es ja nicht, was der Elvis-Effe heute gemacht hat!“) Was denn, bitte? Wolfsburg in die Champions League geführt? Die definitive Maleen-Brinkmann-Biografie geschrieben? Roland Kochs Brille kaputtgetreten? Schön wär’s. Natürlich ist es jedes Mal nur so was wie: „Kacka in de rote Topf“.
Karl E. sagt nur: Marilyn Monroe. James Dean. Jim Morrison. Stefanie Küster. Sex! Genie! Ruhm! Mythos! Aber: Sie alle wären als Paare mit Kindern doch nie geworden, was sie heute sind. Sondern: Oliver Kahn & Simone, Dr. Stoiber & Karin, Björn Ulvaeus & Agnetha Faltskog, Patrick Lindner und sein Manager. Oder – wenn es ganz blöd gelaufen wäre: Kai Diekmann & Katja Keßler.
So gesehen ergehen von dieser Stelle aus die besten Wünsche speziell an all jene, die sich gerade in diesen Tagen und Wochen zu einem schwangeren Nichtraucherpärchen zusammengelegt haben. Habt noch einen guten Tag. Ihr wisst es noch nicht. Aber es kommen nicht mehr viele.
Fragen zu Charts? kolumne@taz.de
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