: Hamburgs Mitte nicht jugendfrei
Bezirksamt plant Kahlschlag in St. Paulis Jugendarbeit: Sieben Stellen sollen gestrichen werden. Abenteuerspielplatz, Nachbarschaftsheim, Café Online, Haus der Jugend, Straßensozialarbeit: Statistik erklärt die Kids für weniger bedürftig
von SANDRA WILSDORF
Vorgestern hatten die Mitarbeiter des Abenteuerspielplatzes am Brunnenhof auf St. Pauli Besuch: Eine Mitarbeiterin des Jugendamts im Bezirk Mitte überbrachte die Botschaft, dass ihre Behörde dem Jugendhilfeausschuss vorschlagen würde, die Stelle für Suchtprävention des Vereins zum 1. Januar zu streichen. Die Jugendtagesstätte des Nachbarschaftsheims St. Pauli Süd bekam keinen Besuch – stattdessen wurde der Vereinsvorstand in die Behörde bestellt. Die Nachricht war die gleiche: Eine von vier Stellen soll wegfallen – die für Suchtprävention. Insgesamt will der Bezirk in der Jugendarbeit acht Stellen streichen, sieben davon in St. Pauli, eine in St. Georg.
So muss auch das Haus der Jugend in St. Pauli dran glauben: Eine freie Stelle soll nicht wieder besetzt werden, das Café Online soll zwei Stellen verlieren und muss wohl den Betrieb einstellen, und die zwei Stellen für Straßensozialarbeit, die schon seit längerem nicht besetzt wurden, sollen nun endgültig gestrichen werden.
„Der Sparhammer schlägt voll zu“, sagt Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamts Mitte. Eine fachliche Begründung für die Kürzungen gibt es nicht. Nur: „Mitte muss an andere Bezirke abgeben.“ Und warum gerade St. Pauli? „Ich nehme an, dass das vergleichsweise am besten ausgestattet war.“ Außerdem lebten dort weniger Jugendliche als beispielsweise in Wandsbek.
Volker Vödisch vom Abenteuerspielplatz erzählt von der Wirklichkeit „unserer Kinder“, von denen täglich etwa 75 auf den Spielplatz kommen: „Über die Hälfte sind Sinti und Roma, für sehr viele Kinder sind wir die einzigen Bezugspersonen.“ Oft müssen die Kinder für die Eltern Behördengänge und Schriftverkehr übernehmen, weil diese Analphabeten sind. „Viele Eltern sind alkoholkrank“, sagt Vödischs Kollege Armin Homburg, dessen Stelle gestrichen werden soll. Um den Kindern dieses Schicksal zu ersparen, arbeiten die Mitarbeiter suchtpräventiv – auf dem Spielplatz, aber auch in Schulen. Bisher.
Die Jugendtagesstätte des Nachbarschaftsvereins ist seit zehn Jahren sieben Tage die Woche geöffnet, von 14 bis 22 Uhr. Hier treffen sich täglich etwa 100 Kinder und Jugendliche. Die Behörde verlangt von den Mitarbeitern, ihr Konzept komplett zu ändern: Jugendliche über 18 sollen keinen Zutritt mehr haben, „die sollen wir an die Schuldnerberatungsstelle oder an das ‚Stay Alive‘ verweisen“, sagt Irmgard Frehland von der Jugendtagesstätte. Das „Stay Alive“ berät Drogenabhängige in Fragen des Lebens, und auch die Schuldnerberatung ist nicht gerade ein Platz, an dem Jugendliche einfach sein können. Das Nachbarschaftsheim soll sich künftig um die „Förderung von Begabungsreserven“ kümmern: In festen Gruppen sollen Jugendliche beispielsweise töpfern und sich auf das Berufsleben vorbereiten. Mitten in diese Neustrukturierung platzt jetzt die Nachricht von der Stellenkürzung.
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