: „Wir sind nicht die Müllküche“
Anwohner der Verbrennungsanlage in Ruhleben wehren sich gegen einen Ausbau. Das tun auch PDS und Opposition. In der SPD-Fraktion aber fetzen sich die zuständigen Leute
An der Wand stehen noch die Liedernummern vom Gottesdienst, hinten im Raum die Gesangbücher. Hiob wäre die passende Textstelle, wenn sich an diesem Abend einer eine Bibel greifen würde, jene Passage, wo von immer neuen Schicksalsschlägen zu lesen ist. Über 60 Anwohner sind im Ruhlebener Gemeindesaal zusammengekommen, um bei Politikern und Fachleuten ihren Frust abzulassen, Frust über mehr Abfall. Aus allen Wolken gefallen sei er, sagt Carsten Fischer, Chef der örtlichen Interessengemeinschaft, als er von den Plänen zum Ausbau der Müllverbrennungsanlage hörte.
Die liegt knappe 900 Meter vom Gemeindehaus entfernt. Nur der nahe Damm der U-Bahn schirmt den Blick auf die Schornsteine des Gewerbegebiets ab. Dort verbrennt nicht nur die Berliner Stadtreinigung (BSR) seit 1967 Müll, dort stehen auch ein Kohlekraftwerk der Bewag und eine Kläranlage.
„Wir sagen ja nicht, dass die Verbrennungsanlage ganz geschlossen werden muss. Aber es kann nicht sein, dass wir die Müllküche für ganz Berlin sind“, sagt Fischer. Weiterer Müll bedeute mehr Schadstoffe, mehr Lärm durch mehr Transporte, befürchten die Anwohner.
Knapp drei Wochen ist es her, dass die BSR Pläne vorgelegt hat, wie sie zukünftig mit dem Restmüll aus den Berliner Haushalten umgehen will. Knapp 1,1 Millionen Tonnen sind das derzeit pro Jahr, genug, um damit nach BSR-Angaben viermal das Olympiastadion bis zum Rand zu füllen. Etwa die Hälfte davon wird in Ruhleben verbrannt, der Rest geht auf die Deponie in Brandenburg. Mit dem Weg zur Deponie aber ist nach einer Bundesverordnung ab 2005 Schluss. Die BSR will Ruhleben deshalb um rund 50 Prozent ausbauen, den Rest teils über eine Bioanlage, teils über Export loswerden.
Gegen einen Ausbau wehren sich vor allem die Grünen. Nicht das, was aus den Schloten kommt, ist das Hauptargument ihrer umweltpolitischen Sprecherin Felicitas Kubala, auch wenn für sie weiter gilt: „Wenn ich unten mehr verbrenne, gibt es oben mehr Schadstoffe.“ Ihre eigentliche Kritik aber lautet: Eine größere Anlage senke das Interesse an Vermeidung und Verwertung von Müll. Von einem „Müllmagneten“ spricht Kubala.
Denn vermeiden lässt sich noch einiges bei dem, was die Müllfahrzeuge montags bis freitags jeweils in ein paar hundert Fuhren in Ruhleben abkippen. Zwar verweist die BSR darauf, dass sich die Restmüllmenge seit Anfang der 90er halbiert hat. „Mehr an Vermeidung ist nicht möglich“, sagt ihr Sprecher Thomas Klöckner. Unüberhörbar aber klirrt Glas, scheppert Metall, wenn der Abfall ohne Vorsortierung in den Müllbunker der Anlage fällt – Stoffe, die nicht in die Restmülltonne gehören.
Im Gemeindesaal wollen die Anwohner weniger technische Details als Zusagen gegen den Ausbau hören. CDU und Grüne geben sie an diesem Abend, die FDP hat das schon an anderer Stelle getan. Auch PDS-Frau Delia Hinz reiht sich ein und verweist auf den Koalitionsvertrag mit der SPD: Der schließt den Bau einer weiteren Verbrennungsanlage aus. Nichts anderes aber sei es, wenn die BSR Ruhleben um 50 Prozent ausbaue. Ein Senatsvertreter kann nichts sagen, kündigt eine Entscheidung zum Monatsende an und verweist auf die SPD-Fraktion, die sich am folgenden Tag positionieren werde.
Die Sozialdemokraten aber zeigen sich auch dann zerrissen. Zwar will auch ihr umweltpolitischer Sprecher Daniel Buchholz keinen Ausbau und bezeichnet das BSR-Konzept als „nicht zustimmungsfähig“. Für seinen fraktionsinternen Arbeitskreischef Jürgen Radebold ist das eine Einzelmeinung: Er hält eine Erweiterung für machbar, wenn sie billiger ist als Müllexport. Frühestens Anfang Dezember soll sich die Fraktion festlegen.
Für die Anwohner liegt im Gemeindesaal weiter die Bibel mit dem Buch Hiob parat – mit Kapitel 3, Vers 25: „Was mich erschreckte, das kam über mich, wovor mir bangte, das traf mich auch.“ STEFAN ALBERTI
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