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robin alexander über SchicksalIntimrasiert, verschwitzt, gewalttätig

Wo früher das Proletariat Conan dem Barbaren nacheiferte, drillt sich jetzt die Mittelschicht: Ein Besuch im Sportstudio

Meine Freundin besucht jetzt einen Kickboxkurs. Weitere Fragen zum aktuellen Zustand unserer Beziehung erübrigen sich wohl. „Wenn sich Mann und Frau in der Vertikalen nichts mehr zu sagen haben, dann sollten sie es doch mal in der Horizontalen versuchen“, rät Serge Gainsbourg. Aber das Leben ist leider kein Chanson, wir sind schon ziemlich lange zusammen, und so bin ich auf die klassischen Mittel der Beziehungsherumdokterei zurückgeworfen: Versuchen zu verstehen. Mitmachen. Gemeinsame Erlebnisse schaffen.

Ich packe also meine Sporttasche und beginne zu verstehen. Es handelt sich nicht um klassisches Kickboxen, sondern um „Kick-Fit“, eine markenrechtsfreie Variante des amerikanischen „Tae Bo“. Man trägt keinen Gummihelm und keine Bandagen um die Hand, sondern Sportschuhe und leichte Cargohosen. Man prügelt auch nicht auf einen kleinen Asiaten ein, sondern in die Luft. Dies geschieht im Takt schneller HipHop-Musik und zu den scharfen Kommandos eines Trainers. Zählen die Teilnehmerinnen die „Pushs and Kicks“ nicht laut genug mit, schreit er sie an: „Das war zu leise – noch einmal! ACHT, SIEBEN, SECHS …“ Eine Art Gewaltaerobic also.

Da kann ich nicht mitmachen. Drill löst bei mir Angstreflexe aus, auch wenn ich nicht von Rekruten, sondern von Frauen umgeben bin und mich statt eines miesen Unteroffiziers ein schöner Coach anbrüllt. Ich bin Kriegsdienstverweigerer. Ich habe als Kind Erich Kästners Berichte vom Exerzierplatz gelesen. Sorry.

Ins Fitnessstudio komme ich trotzdem mit. „Du kannst ja dort etwas anderes machen, und wir treffen uns anschließend in der Sauna“, sagt meine Freundin. Etwas anderes. Dort stehen Fließbänder, auf denen man läuft und dabei Musikfernsehen, Soaps oder fallende Aktienkurse auf n-tv guckt. Es gibt diverse Geräte aus Stahl, nach den „modernsten Erkenntnissen des Bodystylings und Bodyshapings“. Fachhistoriker könnten wahrscheinlich nachweisen, dass sie aus der frühen Phase der spanischen Inquisition stammen.

Vor einem Jahrzehnt waren solche Schwitzstätten noch dem Proletariat vorbehalten, das seine äußere Erscheinung Conan dem Barbaren anpassen wollte. Die Mittelschicht sprach verächtlich von „Muckibuden“. Das Gleiche ist für die gleichen Leute nun Pflicht, seit die Industrie einen „Wellnessbereich“ hinzugefügt hat und das ganze jetzt „Club“ nennt oder „Dschimm“. Das Einzige, was in diesem GYM entfernt mit wirklichem Sport zu tun hat, ist ein Schwimmbecken. Es ist wegen einer Reparatur gesperrt. Untrainiert verziehe ich mich in die Sauna.

Dort hängt ein Schild: „Wir bitten unsere Gäste, unter der Saunadusche aus hygienischen Gründen keine Intimrasuren mehr vorzunehmen.“ Ein interessanter Hinweis. Aber ganz unnötig. Die anwesenden jungen Damen haben die Intimrasuren alle schon zu Hause vorgenommen. Viele sind tätowiert, es gibt kaum einen nicht durchschossenen Bauchnabel. Im GYM kann man überhaupt ein anderes Bewusstsein für Körper beobachten als in der Sauna des städtischen Schwimmbads. Ein seltsames: Mädchen scheinen ein breites Kreuz oder Bauchmuskeln für ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zu halten. Männer wackeln mit dem straffen Hintern, um den Beine-Bauch-Po-Workout nachzuweisen.

Der Besuch einer gewöhnlichen Sauna ist ein gutes Mittel, um Pubertierenden vor Augen zu führen, das Menschen anders aussehen, als die Werbewirtschaft uns weismachen will. Diese Erkenntnis, meinen Pädagogen, baue Depressionen vor und helfe, eine gesunde Sexualität zu entwickeln. Der Besuch einer Sauna im GYM funktioniert genau umgekehrt: Er beweist, dass Menschen sehr wohl so aussehen können wie in Werbung, Frauenzeitschriften und Soaps. Und dass, wer das nicht tut, selbst schuld ist. Doch, es gibt auch Dicke im GYM. Aber keine, die dick bleiben wollen. Darum ist die Atmosphäre im GYM auch trotz aller Waschbretter, Piercings und Vaginas überhaupt nicht sexuell. Es geht um die schwierige Arbeit, den eigenen Körper einem fremden Bilde anzupassen. Um Leistung und ihre Präsentation. Die Leute hier begehren nicht den anderen Körper, sondern die Anerkennung des eigenen.

Als meine Freundin nach ihrem sechzigminütigen Kurs in die Sauna kommt, sieht sie abgekämpft aus – im Wortsinn. Kein Wunder: Sie hat eine Stunde lang auf Befehl in die Luft getreten und geboxt. „Da kann ich wunderbar meine Aggressionen ablassen“, sagt sie.

Der Besuch im GYM hat mich körperbewusst gemacht. Mit ganz anderen Augen sehe ich nun die vertraute Frau: Ist ihr Po straff – oder gestrafft?

Fragen zu Schicksal?kolumne@taz.de

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