: Übung für Chefs: zuhören
Statt Rollenspiel oder Survival-Training bietet die Freiwilligen-Agentur ein Training für Führungskräfte, das auf die soziale Wirklichkeit abzielt. Die swb AG hat es schon getestet
„Nein, noch kennen uns nicht alle Bremer Firmen“, sagt Heinz Janning. Dabei hat er so geackert, damit die jüngste Geschäftsidee „Transfer“, der Bremer Freiwilligen-Agentur, Einzug in die Firmenwelt an der Weser hält. „Transfer“ organisiert für Führungskräften ein Training in sozialer Kompetenz, wie es authentischer kaum sein könnte.
Statt Rollenspielen in schön gelegenen Konferenz-Hotels oder anstelle des Outdoor-Trainings in reizvoller Natur bietet „Transfer“ den Sprung ins wahre Leben: Eine Woche lang können Männer und Frauen, die meist in den oberen Etagen großer Unternehmen zuhause sind, am Alltag sozialer Bremer Einrichtungen teilnehmen – beobachtend oder ganz praktisch helfend. Immer das Neue im Blick:
den fremden Arbeitsalltag – vor allem aber sich selbst, in ungewohnter Rolle und Umgebung.
Das Lernfeld heißt Selbsterfahrung: Was tue ich, wenn meine bewährten Konfliktlösungsstrategien aus der Firma im neuen Umfeld nicht ziehen – möglicherweise, weil, wenigstens vordergründig, die Motivationslage im Sozialprojekt eine andere ist als gewohnt. Vielleicht aber auch, weil der Chef ohne seine Macht im Rücken woanders gar nicht mehr so kompetent auftritt. Vielleicht aber auch aus anderen Gründen, die zu erforschen sich lohnen könnte – im Interesse der Firma. Aber auch im Interesse der Manager selbst, die – oft mit dem Gefühl, allein allen Wettern trotzen zu müssen – den Hut bisweilen zu tief ins Gesicht ziehen. Mit den bekannten Folgen eines eingeschränkten Blickfeldes.
Diese Risiken sind bekannt. Ob das mentale Lockerungsangebot „Transfer“ im Sinne eines Perspektivenwechsels dagegen hilft, wird noch geprüft.
Gerade hat eine Vorhut des Energieversorgers swb AG das „Transfer“-Angebot erstmals getestet. Sabine Lorenz und Peter Schmaltz, „Personal-Leute“, wie sie sich bescheiden nennen, haben ihre Arbeitszeit fünf Tage lang mit Obdachlosen und psychisch Kranken und deren BetreuerInnen verbracht. Ihren persönlichen Horizont habe das wohl erweitert, sagen beide. „Zuhören war ganz wichtig“, resümiert Sabine Lorenz – möglicherweise eine gute Übung für Vorgesetzte? Ebenso: „Das sich-wertfrei-auf-andere-Einlassen“ – ein Schlüssel vielleicht zu den verborgenen Qualitäten von MitarbeiterInnen? Doch ob das swb Führungspersonal künftig einen solchen Perspektivenwechsel erleben soll, ist noch offen.
„Die interne Auswertung läuft“, sagt Peter Schmaltz. Er war Personalchef der ehemaligen Stadtwerke, bevor diese in verschiedene Holdings unter dem Dach der swb AG zerlegt wurden. Als Kopf des swb-Projektes „Futura“, das direkt beim Arbeitsdirektor angesiedelt ist, ist er heute zuständig für Innovationen in der Personalpolitik. Nüchtern sagt er, man müsse prüfen, was von solch einem Lernangebot längerfristig bleibe. Das Ziel eines solchen Instruments müsse definiert sein. Seine Erfahrungen – Schmaltz hatte sich in seiner Probewoche für die Begegnung mit psychisch Kranken der „Initiative zur sozialen Rehabilitation und Vorbeugung psychischer Erkrankungen“ entschieden – werde er erst im Februar, drei Monate nach dem Einsatz mit einer von „Transfer“ vermittelten Supervisorin, auswerten. Dass ein solches Training als Ergänzung zu anderen Lernmethoden und auf strikt freiwilliger Basis interessant sein könnte, schließt er nicht aus.
„Es gibt auch in der Personalentwicklung Wellenbewegungen. Alte Dinge nutzen sich ab“, kalkuliert Schmaltz nüchtern. Solche Wellenbewegungen aufzuspüren, ist sein Job – während der swb als Unternehmen zugleich die Verankerung im Bremer Stadtleben wichtig ist. So war Schmaltz einst auf Janning gestoßen. „Bei einer Veranstaltung der Freiwilligen-Agentur in der Handelskammer“, erinnert sich Janning, der schon damals darüber nachdachte, wie die Arbeit sozialer Einrichtungen mit der von Firmen verknüpft werden könnte. Es trieben ihn „Zeitspenden“ von Firmenmitarbeitern um: Angestellte aus Firmen sollten ihren Sachverstand in einer anderen Arbeitswirklichkeit einsetzen – zur Bereicherung beider Seiten. Firmen könnten so ihre lokale Verbundenheit beweisen, – und gemeinnützige oder soziale Einrichtungen ihre spendenwürdigen Qualitäten. „Geben und nehmen“ sind Slogans, mit denen vergleichbare amerikanische Konzepte operieren. Janning dachte weiter. Heraus kam „Transfer“ – übrigens nach Schweizer Vorbild.
„Dass es heute ‚Transfer‘ gibt, ist allerdings ein Verdienst der Bremer Sparkasse“, sagt er. Von dort nämlich kam das Startkapital, nachdem Janning seine Idee beim „Zukunfts-Puzzle“ der Sparkasse einschickte – und einen von 20 Förderpreisen gewann, die unter 300 Einsendungen ausgelobt worden waren. Neben Geld brachte ihm das auch Ermutigung, saßen doch in der Jury Leute wie Ingelore Rosenkötter, die Vorsitzende des Landessportbundes, oder wie der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel und Bremens Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU).
Einfach war es trotzdem nicht. Bremer Unternehmen bewiesen Transfer-Resistenz. Erst nach mehreren Anläufen, nach x Gesprächen mit PersonalentwicklerInnen in Bremer Firmen und eben so vielen mit möglichen sozialen Partnern als „Gastgeber“ auf der anderen Seite, war die swb zu einer Kostprobe bereit. „In anderen Städten läuft so was schon länger“, nennt Janning Köln, Berlin und Hamburg. In Hannover, wo Janning als Projektentwickler das Diakonische Werk als Träger hinter sich brachte – und sogar die Landesregierung als Arbeitgeber für das Vorhaben erwärmte, meldeten sich gleich neun Führungskräfte für den ersten Durchlauf, der gerade zuende ging. Eine Versicherung will dort künftig fester Partner werden. Andere Firmen erwägen Ähnliches. „Der Unterschied zu Bremen ist wohl, dass das als innovativ bekannte Diakonische Werk als Träger einen Namen hat“, seufzt Janning. „Wer kennt in den Führungsetagen schon die Freiwilligen-Agentur?“
In den Führungsetagen sind es vielleicht nicht so viele – aber in der sozialen Szene ist die Agentur wohl bekannt. So hat die „Initiative“, in deren Wohngruppe für psychisch Kranke swb-Mann Schmaltz fünf Tage hospitierte, schon lange einen Draht zur Agentur – weil die nämlich Ehrenamtliche dorthin vermittelt hatte, wie Sven Bechtolf berichtet. Er hat für die „Initiative“ zwei Jahre lang die Entwicklung des „Transfer“-Konzeptes begleitet. „Klar würden wir wieder eine Führungskraft aufnehmen“, sagt er – nicht nur, weil die Einrichtung von den 1.000 Euro Teilnahmegebühren der Führungskräfte mehrere hundert Euro dafür bekommt, sondern auch, weil Führungskräfte wie Schmaltz durch ihre Anwesenheit und Beobachtungen auch die Sozialarbeit aufwerten– und vielleicht neue Impulse geben. Eva Rhode
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