: Das Unglück nach Mölln
Der Glauben an den Staat haben die Arslans erst nach dem rechtsextremen Brandanschlagvor zehn Jahren verloren. Die Ämter ließen die Familie im Stich, die drei Tote zu beklagen hatte
aus Hamburg ELKE SPANNER
Was der liebe Gott tut, wird schon in Ordnung sein. Und der hat noch einiges zu tun, sagt Faruk Arslan. Auf ihn muss er jetzt setzen. Den Glauben an den deutschen Staat hat er verloren. Gott soll dafür sorgen, dass die Mörder seiner Mutter, seiner Tochter und der Nichte wirklich bestraft werden. Denn der eine der beiden Täter hat nur sieben Jahre im Gefängnis gesessen – „eine Belohnung“, so Arslan. Gott soll auch dafür sorgen, dass seine Familie zur Ruhe kommt – endlich, zehn Jahre nach dem Brandanschlag von Mölln.
Der 23. November 1992 wird in die deutsche Geschichte als der erste rassistisch motivierte Brandanschlag in einer Serie von Attentaten nach der Wiedervereinigung eingehen, bei dem Menschen ums Leben kamen. Für Arslan ist dieser Tag kein historisches Datum. Er ist die Geschichte seiner Familie. Wenn er sie erzählt, braucht er seine Hände zum Sprechen. Mit Worten allein kann er die Wut nicht ausdrücken, die sich in den Jahren danach angesammelt hat. Der 38-Jährige ist kein bitterer Mann. Manchmal lacht er, wenn er seine Geschichte erzählt. Seine Mutter Bahide, erzählt er stolz, „war die türkische Bürgermeisterin von Mölln“. Die jüngste Tochter Yeliz, Jahre nach dem Feuer geboren, haben er und seine Frau nach der beim Anschlag verstorbenen Tochter benannt.
Täglich liefen Arslans über Stellen des Todes
Die Familie ist inzwischen nach Hamburg umgezogen. Mehrere Jahre hatten Faruk und seine Frau Hava mit den Kindern Ibrahim, Namik und Yeliz noch in dem Haus gelebt, das 1992 zwei Neonazis in Brand gesetzt hatten. Täglich mussten sie über die Stellen laufen, an denen Mutter Bahide, Tochter Yeliz und Nichte Ayse gestorben waren. Arslan sagt, sie hätten die Behörden um ein anderes Haus angefleht – aber nur einen Wohncontainer angeboten bekommen. Nur deshalb sind sie nach dem Wiederaufbau zurückgezogen in das Haus in der Mühlenstraße. Jede Nacht haben sie sich dort mit Einschlafstörungen und Albträumen gequält. Der damals jugendliche Täter Lars Christiansen hat nach seiner Haft eine psychologische Behandlung bekommen, Arslans Familie nie.
Das Geld, das sie benötigten, um ihre Wohnung wieder einzurichten, kam nicht von der Stadt, sondern aus Spenden. Auch eine Opferentschädigung, die der Familie laut Gesetz zusteht, hat bis heute nur der Sohn erhalten. Und die Gedenktafel am Haus in der Mühlenstraße? Arslan lächelt spöttisch. Erst musste er darum kämpfen, dass sie überhaupt vorne an der Fassade angebracht wird. Jetzt steht nicht drauf, dass es ein rechts motivierter Brandanschlag war.
Der Umzug nach Hamburg vor zwei Jahren hat den Alltag der Familie verändert – und ihre Schwierigkeiten. Seit sie in Hamburg leben, müssen die Arslans jeden Monat aufs Neue um Sozialhilfe streiten, mittlerweile per Rechtsanwalt. Das Schicksal der Familie interessiere sie nicht, habe ihm eine Sachbearbeiterin gesagt. Sie hätten in Mölln bleiben müssen, wenn sie Hilfe bekommen wollten.
Im Sommer hat es das Sozialamt abgelehnt, der Familie einen Flug in die Türkei zu ermöglichen, zu einem letzten Besuch bei Faruks Vater Nazim Arslan. Der überlebte den Anschlag damals knapp, jetzt liegt er in der Türkei im Sterben. „Durch die Folgen des Brandanschlages sind die überlebenden Familienmitglieder besonders eng aneinander gebunden“, schrieb Arslans Rechtsanwalt, „es war für die Familie von existenzieller Bedeutung, Nazim Arslan noch ein letztes Mal zu sehen und von ihm Abschied zu nehmen.“ Die Behörde lehnte ab – und kürzte den Lebensunterhalt der Familie für die Zeit ihrer Abwesenheit, nachdem sie dennoch zum Besuch bei Nazim Arslan aufgebrochen waren – das Reisebüro hatte die Kosten gestundet. Das Widerspruchsverfahren dagegen läuft.
Seine Enttäuschung über den Umgang der deutschen Gesellschaft mit seiner Familie hat sich für Faruk Arslan erst nach dem Brand entwickelt. Er sagt, dass er niemals der Stadt Mölln und deren Bewohnern die Schuld daran gegeben hat, dass er seine Mutter, Tochter und Nichte verlor. Schuld hätten sie im Nachhinein auf sich geladen – weil sie die Familie im Stich ließen. Nicht mal einen Job hat Arslan gefunden. „Wer wollte schon einen Mann einstellen“, sagt er, „der einen so schlechten Ruf über die Stadt gebracht hat, alle Welt hat damals auf Mölln gezeigt.“ Am heutigen Gedenktag wird Faruk Arslan in Mölln eine Rede halten. Dass sich die Stadt über seine Worte freuen wird, glaubt er eher nicht.
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