: Bremse für 106 Stundenkilometer
Torwart Pascal Borel ist bei Werders 1:0-Sieg in Berlin kein Thema - die Arbeit erledigen seine Vorderleute für ihn
„Borel raus!“ Deutlich hörbar waren die Rufe beim letzten Heimspiel gegen Kaiserslautern durchs Weserstadion gehallt. Die meisten Ostkurvenfans hatten sich sichtlich genervt von den wiederholten Patzern des Werder-Torwarts gezeigt. Vor allem seine wenig teufelskerlverdächtige Leistung beim UEFA-Cup-Aus gegen Arnheim wollten sie ihm nicht so ohne weiteres verzeihen. Werder-Trainer Schaaf und Sportchef Allofs hatten sich daraufhin schützend vor den Schlussmann gestellt, witterten gar eine üble Hetzkampagne der Bremer Regenbogenpresse.
All das war bis in die Hauptstadt gedrungen. Die Berliner hatten sich vor dem Spiel gegen Werder folgerichtig auf ein fröhliches Scheibenschießen gefreut. Mitte der Woche hatte der heimische Tagesspiegel schadenfroh gefragt, warum sich die Bremer den Luxus eines Torwarts gönnten, den viele für „den schlechtesten der Liga“ hielten. Und das Boulevardblatt Berliner Kurier forderte gar: „Auf geht‘s, Jungs – Werder-Torwart Borel hält nur jeden zweiten Ball“.
Wahrscheinlich hätte dieser am Samstag gerne den Gegenbeweis angetreten. Allein – er durfte nicht. Das lag nicht etwa daran, dass Thomas Schaaf ihn auf die Bank verbannt hätte. Nur bekam er in 90 Minuten gerade mal einen einzigen Ball aufs Tor. Das Freistoß-Geschoss von Marcelinho war immerhin 106 Stundenkilometer schnell. In Berlin haben sie einen „Speedguard“, der so etwas misst.
Über hundert Stundenkilometer bereiteten Borel also keine Probleme. Beruhigend. Das schien auch er selbst so zu sehen. Nach dem 1:0-Sieg durch Ailtons Kopfballtor war ihm die Erleichterung deutlich anzumerken. Artig bedankte er sich bei seinen Vorderleuten, die „keine echte Torchance zugelassen“ hätten. Klaus Allofs meinte gar bemerkt zu haben, dass die Mannschaft ob des ganzen Borel-Theaters der letzten Wochen „zusammengerückt“ sei.
Werders Erfolg resultierte denn auch aus einer Mischung von Berliner Unvermögen und Bremer Standfestigkeit. In den Kommentaren hörte sich das nach dem Spiel dann so an: Werder-Trainer Thomas Schaaf sprach erleichtert vom „guten Defensivverhalten“ seiner Elf, sein Gegenüber Huub Stevens dagegen knurrte, er hätte Hertha BSC „noch nie so schlecht gesehen“. Werders Nationalspieler Frank Baumann freute sich darüber, dass man „die Räume eng gemacht“ habe, Herthas Nationalspieler Arne Friedrich bescheinigte seiner Mannschaft, dass sie „einfach zu blöd“ sei.
Also, wie jetzt? Lag es an Werders Stärke oder an Herthas Schwäche, dass die Gäste das Tor geschossen hatten? Hätte Borel einen zweiten Berliner Torschuss gehalten? Man darf wohl froh sein, dass letzteres nicht beantwortet werden muss. Das Positivste zum Thema Borel war am Samstag, dass es kein Thema war.
Daniel Schalz
siehe auch Spielbericht Seite 18
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