kein leben trotz puls von RALF SOTSCHECK:
Merkwürdig. Die Autos zuckeln gemütlich vor sich hin. Obwohl die Landstraße außergewöhnlich breit ist, überholt niemand. Und das in Irland, wo an jeder Grafschaftsgrenze stolz die Zahl der Verkehrstoten der vergangenen vier Jahre vermeldet wird. (Die meisten sind der Raserei zum Opfer gefallen.) Die plötzliche Läuterung der irischen Autofahrer hat freilich nichts mit diesen Tafeln zu tun, sondern mit der Einführung eines Strafpunktsystems. Seit Anfang des Monats bekommt man zwei Punkte und muss 80 Euro zahlen, wenn man zu schnell fährt.
Dabei spielt es keine Rolle, ob man fünf oder fünfzig Kilometer über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt. Wer innerhalb von drei Jahren zwölf Punkte gesammelt hat, muss den Führerschein für sechs Monate abgeben. Demnächst wird es auch Punkte für Gurtmuffel und Falschparker geben. Dann kann man die zwölf Punkte an einem einzigen Tag sammeln, wenn man sich nicht konzentriert, frohlockte der zuständige Minister Noel Dempsey.
Der irische Automobilclub protestierte, dass die meisten Autofahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit gar nicht kennen, oft seien die Schilder schlecht zu sehen. Nächstes Jahr wird es noch verwirrender, wenn die alten Schilder gegen neue ausgetauscht werden, auf denen die Geschwindigkeit nicht mehr in Meilen, sondern in Kilometern angegeben ist. Dann macht die Polizei das Geschäft ihres Lebens – vorausgesetzt, sie bekommt ihr kleines technisches Problem in den Griff. Um die Autofahrer reibungslos abkassieren zu können, hat sich die Polizei ein neues Computersystem für 61 Millionen Euro angeschafft. Es sei der Rolls-Royce unter den Computern, freute sich das Ministerium, Papierkram sei eine Sache der Vergangenheit. Eine Dubliner Polizistin taufte die Maschine auf den Namen „Pulse“ und bekam dafür einen Preis. Die Abkürzung steht für „Police Using Leading Systems Effectively“ – die Polizei benutzt führende Systeme effektiv.
Tut sie aber nicht. Weil die Regierung den Rotstift ansetzte, bekam ein Viertel aller Polizeireviere gar keinen Computer. Diejenigen, die mit dem Pulse bedacht wurden, sind auch nicht besser dran. Um Geld zu sparen, wurden nur 17 statt der geplanten 27 Einzelinformationen über jeden Bürger gespeichert. So ist das Gerät gegen Verkehrssünder machtlos: Das Pulse-Gedächtnis enthält keine Autonummern.
Zudem bricht das System jeden Morgen zusammen, wenn sich sämtliche Revierleiter einloggen, um die Berichte der Nachtschicht zu lesen. Auch Mittwoch und Samstag abends, wenn der Schlussansturm auf die elektronisch registrierten Lottoscheine einsetzt, verabschiedet sich Pulse für eine Weile. „Es gibt einen Puls, aber kein wirkliches Leben“, lästerte die Sunday Tribune.
Man hätte für dieselbe Summe, die das Elektronendumpfhirn gekostet hat, jeden Polizisten mit einem Computer, einem Laptop und einem Handy ausrüsten können. Man sollte für das Pulse-Akronym eine neue Bedeutung finden. Wie wäre es mit „Polizei und lausige Scheiß-Elektronik“?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen