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Ein Schritt vor und zwei zurück

Das traditionelle Auswanderungsland Italien stellte sich auf die Herausforderungen einer Einwanderungsgesellschaft ein. Mit dem Regierungswechsel kam dann die Vollbremsung, obwohl auch das moderne Italien Einwanderung braucht

von GERMANO GARATTO

Die Geschichte der Einwanderung nach Italien ist jung: Während 1980 noch 298.000 reguläre Einwanderer gezählt wurden, schnellte die Zahl auf knapp 1,7 Millionen im Jahr 2000. Mit dieser neuen gesellschaftlichen Realität angemessen umzugehen stellte das Land innerhalb kürzester Zeit vor eine immense Herausforderung. Das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit, mit dem Italien der Anschluss an die großen Industrienationen gelungen war, konnte noch durch die Binnenwanderung von Arbeitskräften bewältigt werden. Aus den ländlichen Regionen, insbesondere aus dem Süden, zogen damals mehr als zweieinhalb Millionen Menschen in das Industriedreieck Turin–Mailand–Genua im Norden des Landes.

Als die ersten Einwanderer aus Marokko, den Ländern südlich der Sahara und dem Fernen Osten eintrafen, ahnte niemand, dass es sich hier um die Vorzeichen eines stetig wachsenden Zustroms handelte, der Jahrzehnte anhalten und zum Strukturelement der demografischen, sozialen und ökonomischen Entwicklung werden würde. Nur wenige konnten sich vorstellen, dass ein traditionelles Auswanderungsland nun umgekehrt ausländische Arbeitskräfte benötigen könnte; man bedenke, dass im Jahr 2000 fast 4 Millionen Italiener im Ausland lebten, allein 688.000 in Deutschland. Und so wurde Italien von der Einwanderung ins eigene Land kalt erwischt, sowohl im Hinblick auf ihre rechtliche und administrative Handhabung als auf ihre gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen. Das erste wirklich kohärente und umfassende Einwanderungsgesetz wurde denn auch erst 1998 erlassen.

Die Mehrzahl der Einwanderer sind junge Leute, 93 Prozent unter vierzig Jahre alt. Viele verfügen über eine gute Schul- und Berufsausbildung, und sie sind hoch motiviert, ihr Migrationsprojekt zum Erfolg zu führen. Die erste Einwanderergeneration hat sich allmählich eingerichtet, während die zweite bereits vor der Tür steht. Die Hälfte sind Frauen, viele von ihnen, vor allem aus den entferntesten Ländern, sind allein nach Italien aufgebrochen. Sie kommen aus allen Teilen der Welt: 29 Prozent aus Osteuropa, 28 aus Afrika, 20 aus Asien, 12 aus Amerika und 11 aus der Europäischen Union. Die häufigsten Herkunftsländer sind Marokko, Albanien, Rumänien, die Philippinen und China.

Da sich Italien erst langsam auf Einwanderung einstellt, erleben die Neuankömmlinge häufig einen sozialen Abstieg. Die Schwierigkeit, in kurzer Zeit die selbst gesteckten Ziele zu erreichen, zwingt sie dazu, ihre Familien nachzuholen; etwa 50.000 Familienangehörige ziehen jährlich nach, das ist jeder vierte Neuzuwanderer. Dennoch unterliegen viele noch immer der Selbsttäuschung, dass sie bald wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. So erklärt sich, weshalb manche nur wenig geneigt sind, mehr in eine sichere Zukunft in Italien für sich selbst und ihre Familien zu investieren.

Das entscheidende Problem, das es auf gesellschaftlicher und politischer Ebene zu lösen gilt, ist das noch immer mangelnde Bewusstsein, dass wir künftig, Italiener und Einwanderer, eine gemeinsame Zukunft haben werden. Die Italiener tun sich noch schwer damit, zu akzeptieren, dass ihr Land ein Einwanderungsland geworden ist und dass die neuen Zuwanderungsströme eben nicht nur zeitweilige Gäste mit sich bringen. Dabei ist es hinreichend bekannt, dass in den kommenden fünfzehn Jahren der Anteil der aktiven Bevölkerung im Alter von zwanzig bis sechzig Jahren um etwa dreieinhalb Millionen zurückgehen und dass sich in den nächsten zwanzig Jahren die Zahl der über 85-Jährigen verdoppeln wird. Noch schwerer scheint es den Italienern zu fallen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass diese neuen menschlichen Ressourcen an der Gestaltung der künftigen Gesellschaft mitwirken werden, und die damit verbundenen Veränderungen hinzunehmen.

Dem Einwanderungsgesetz von 1998 lag die Annahme zugrunde, dass es darum gehen müsse, allen gleichermaßen – Italienern und Einwanderern – die aktive Ausübung ihrer Bürgerrechte zu ermöglichen, um gemeinsame Ziele verwirklichen zu können. Damit sollte möglichst rasch die gegenwärtige Phase überwunden werden, in der Einwanderer faktisch Bürger zweiter oder dritter Klasse sind und ihre Integration den Interessen der italienischen Staatsbürger untergeordnet ist. Zu diesen Instrumenten gehörten etwa das kommunale Wahlrecht und die Partizipation von Migranten an der demokratischen Mitbestimmung auf allen Ebenen: Schule, soziale Dienste, Gesundheitswesen, Kultur, Freizeit. Das Ziel war es, eine Gesellschaft mit „zwei Geschwindigkeiten“ zu überwinden und die ethnische Ghettoisierung zu verhindern.

Die gegenwärtige Mitte- rechts-Koalition musste einen hohen Preis dafür bezahlen, dass sie Parteien an der Regierungsverantwortung beteiligte, die den Widerstand gegen die Einwanderung zum Wahlkampfthema gemacht hatten. Noch nie waren Einwanderer in der Vergangenheit auf ähnliche Weise zur politischen Geisel gemacht worden. Der neuen Regierung genügten zwölf Monate, um unter dem Vorwand, die illegale Einwanderung zu bekämpfen, ein neues Einwanderungsgesetz durchzupeitschen und in der Öffentlichkeit das Vorurteil zu schüren, dass Einwanderung schädlich sei, dass sich Migranten nicht in die italienische Gesellschaft integrieren könnten, dass sie dahin zurückkehren sollten, wo sie hergekommen sind, dass diejenigen, die irregulär einreisten, mit Kriminellen gleichzusetzen seien.

Trotz des Wahlversprechens „Nie wieder Regularisierung!“ musste aber auch diese Regierung der Realität ins Auge schauen, die lautet, dass hunderttausende von Familien und kleinen Betrieben die Dienste illegaler Einwanderer in Anspruch nehmen und damit auch der Staatskasse wichtige Einnahmen vorenthalten. Diese Arbeitnehmer sind keine Kriminellen, sondern Männer und Frauen, die ausgebeutet werden – schon daran lässt sich ablesen, wie wenig die Gleichung „illegal gleich kriminell“ aufgeht. So ist nun ausgerechnet unter dieser Regierung die fünfte Regularisierung innerhalb von fünfzehn Jahren (die letzte fand 1998 statt) in Vorbereitung.

Der Maßnahmenkatalog der neuen Regierung sieht einschneidende Änderungen vor: Begrenzung der Einreisevisa zur Arbeitsaufnahme; Abschaffung der im Gesetz von 1998 vorgesehenen, sehr interessanten Option, in die jährliche Zuwanderungsquote auch Menschen aufzunehmen, die über eine Bürgschaft die Chance erhalten sollen, zunächst für die Dauer von sechs Monaten zu kommen und in dieser Zeit nach einer Arbeitsstelle zu suchen; Ausweisung regulärer Einwanderer samt Familie nach sechs Monaten offizieller Arbeitslosigkeit – in einem Land, wo die Schwarzarbeit einen erheblichen Anteil an der Wirtschaft hat; Kriminalisierung der illegalen Arbeitnehmer. All diese Maßnahmen führen nur dazu, die Schleuserbanden, die in verschiedenen Ländern die illegale Einwanderung nach Europa organisieren, zu stärken. Damit wird ein System der Nachschublieferung an beliebig ausbeutbaren Arbeitskräften unterstützt, das nicht nur in Italien erfolgreich erprobt ist.

Unterdessen breitet sich in der Öffentlichkeit schleichend die Überzeugung aus, dass Einwanderer eine Gefahr darstellten – genährt vom überwiegenden Teil der italienischen Medien, die aus reiner Effekthascherei keine Skrupel haben, mehr an die Instinkte als an den Verstand der Menschen zu appellieren. Das Ergebnis ist überaus alarmierend: Denn das Gefühl des gegenseitigen Misstrauens und der Fremdheit zwischen Italienern und Ausländern wächst. Wechselseitige Intoleranz findet hier ihre Legitimation, und es entsteht das Bild, dass Einwanderer Fremdkörper und Eindringlinge und Italiener Egoisten und Ausbeuter seien.

Italien erlebt einen hohen Einwanderungsdruck nicht nur auf das eigene Land, sondern auch als Durchgangsland in andere Staaten der Europäischen Union. An den nördlichen Landesgrenzen wurden letztes Jahr 13.646 Personen aufgegriffen und zurückgeschickt, an den fast viertausend Kilometern langen Küsten im Süden waren es 11.765 Menschen. Wie viele jedes Jahr ins Land gelangen, lässt sich schwer beziffern. Skrupellose Schleuserbanden organisieren die „Reisen der Hoffnung“ vorwiegend aus Kurdistan, dem indischen Subkontinent, Nord- und Schwarzafrika. Ihr Geschäft ist das Ergebnis des restriktiven Einwanderungskurses aller EU-Mitgliedsstaaten, der legale Einwanderung kaum mehr zulässt. Häufig enden die Reisen tragisch: Allein im September wurden mehr als fünfzig Tote aus dem Meer nahe der italienischen Küste geborgen, nicht selten wurden die Opfer von der Schiffsbesatzung über Bord geworfen.

Abgesehen von dem hohen menschlichen Preis, den dieser Handel fordert, sind auch die wirtschaftlichen Kosten beträchtlich. Auf der einen Seite für die Länder, die sich gegen die Einwanderer abschotten wollen: Italien hat 2001 insgesamt 34.000 Personen abgeschoben mit durchschnittlichen Kosten von 3.000 Euro pro Person. Auf der anderen Seite für die Einwanderer selbst: Die Schleuserpreise liegen derzeit bei etwa 4.000 Dollar von Sri Lanka oder Pakistan in die Türkei, 1.400 von der Türkei nach Griechenland, 1.000 von Griechenland nach Italien, Frankreich oder Deutschland.

Übersetzung: Veronika Kabis

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