: Argentinier im Wechselbad
Nach einem Jahr will die Regierung die eingefrorenen Bankkonten freigeben, um die Konjunktur anzukurbeln. Aber gleichzeitig erhöht sie die Preise für Gas und Wasser
BUENOS AIRES taz ■ Schritt für Schritt versucht Argentinien, wieder zur Normalität zurückzukehren. Fast auf den Tag genau ein Jahr, nachdem der damalige Wirtschaftsminister Domino Cavallo die Bankkonten in Argentinien eingefroren hat, hat der jetzige Amtsinhaber Roberto Lavagna verkündet, er werde sie wieder auftauen.
Ab dem 2. Dezember können die Argentinier wieder über ihr komplettes Bankguthaben verfügen – allerdings ist es nach der Abwertung des Peso um über 70 Prozent erheblich weniger wert als damals. In einem zweiten Schritt werden auch die Konten der Firmen wieder freigegeben. Damit will Lavagna die wackelige wirtschaftliche Stabilisierung in einen Aufschwung verwandeln, nachdem der Fall des Peso gestoppt und die Rezession gebremst ist: Mehr Bargeld, so die Hoffnung, kurbelt den Konsum und damit die Wirtschaft an.
Doch der Schritt ist nicht ohne Risiko. Als Cavallo die Konten vor einem Jahr sperrte, wollte er verhindern, dass die Anleger ihr Geld abheben und im Sparstrumpf unter der Matratze deponieren. Die Banken hätten dem Sturm nicht standgehalten und der Peso wäre schon früher abgestürzt, weil jeder abgehobene Peso sofort in Dollar getauscht worden wäre.
Diese Gefahr ist laut Lavagna heute gebannt. Der Preis des Dollar hat sich bei 3,50 Pesos eingependelt. Wie die Banken und auch viele Straßenwechsler geht er davon aus, dass nicht so viele frei gegebene Pesos in Dollar getauscht würden, dass die brasilianische Währung erneut in die Knie zu gehen drohe.
„Wir glauben, dass es genug Vertrauen in den Peso gibt“, erklärte der Wirtschaftsminister am Freitagnachmittag.
Dies mag für private Anleger stimmen, kaum jedoch für Firmen, die auf dem Weltmarkt in Dollar handeln. Doch Lavagna zeigt sich davon unbeeindruckt und weist darauf hin, dass in den Kellern der Zentralbank fast 10 Milliarden Dollar an Devisenreserven lagern. Als Wirtschaftsminister in Argentinien ist er zu Optimismus verdammt.
Aber trotzdem hatte er am Freitag nicht nur gute Nachrichten. Er kündigte auch eine Preiserhöhung um bis zu 9 Prozent für Gas und Wasser an. Eine schmerzhafte Entscheidung für die Argentinier: Seit Dezember sind die Reallöhne extrem gefallen, die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent. Doch die transnationalen Konzerne, die die Gas-, Wasser- und Stromversorger in den 90er-Jahren gekauft hatten, wurden vom Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützt, und so akzeptierte Lavagna die Tariferhöhung.
Auch eine andere Forderung des IWF ist kurz davor, erfüllt zu werden. Zum ersten Mal, seit sich das Land Anfang diesen Jahres zahlungsunfähig gemeldet hat, spricht die Regierung davon, den Schuldendienst wieder aufzunehmen. Dies sei aber nur möglich, wenn die Gläubiger akzeptieren, einen großen Teil der argentinischen Schulden abzuschreiben, so Lavagne. Ein hoher Beamter im Wirtschaftsministerium sagte, die Gläubiger müssten damit rechnen, „30 Prozent oder sogar mehr“ ihrer Forderungen zu vergessen.
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