: Deutliche Abfuhr für Rot-Grün
Aus dem Regierungswechsel wird wieder nichts. Stattdessen steht Kanzler Wolfgang Schüssel als strahlender Sieger da. Nur: Ihm fehlt der Partner
aus Wien RALF LEONHARD
Was gestern in Österreich passiert ist, kommt einem mittleren Erdbeben gleich. Die christlich-soziale ÖVP, vor kurzem noch in einer tiefen Sinnkrise, wurde zur stärksten politischen Kraft und wird weiter den Bundeskanzler stellen. Mann des Tages ist Wolfgang Schüssel, der vom geschmähten Architekten der Allianz mit den Freiheitlichen zum gefeierten Helden wurde. Der Mann mit der lächerlichen Fliege trägt jetzt Krawatten und hat sich zum Staatsmann gemausert. Erstmals seit Jahren zeigt sich die ÖVP geschlossen hinter ihrem Chef. Selten war ein Parteiobmann so unumstritten.
Für die Sozialdemokraten ist es ein geringer Trost, dass sie aus dem Tief von 1999 wieder ein wenig auftauchen konnten. Denn sie mussten nach mehr als 30 Jahren ihren ersten Platz im Patreiengefüge aufgeben. Alfred Gusenbauer wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob er der geeignete Mann für die Parteiführung ist. Und das wichtigste Ergebnis: Die blau-schwarze Wendekoalition wurde trotz Belastungswelle und freiheitlichem Suizid vom Volksvotum bestätigt. Wer darauf gehofft hatte, dass der Zusammenbruch des rechtskonservativen Experiments eine Aufbruchsstimmung schaffen würde, die das gesellschaftspolitischen Rollback umdrehen würde, sah seine Träume zerplatzen. Die rot-grüne Alternative erhielt eine Abfuhr, wie sie deutlicher kaum ausfallen konnte.
Die größte Wählerwanderung in der Geschichte der zweiten Republik hat die politische Landschaft nachhaltig verändert und den konservativen Drall bestätigt. Vor der Wahl war man sicher: Es würde einen großen Verlieren und drei Gewinner geben. Tatsächlich gab es drei Verlierer.
Demenstprechend betreten waren die Gesichter in den Parteizentralen, wo die ersten Erklärungen von den Generalsekretären oder Bundesgeschäftsführerinnen gegeben wurden. Die Grünen haben ihre Wahlziele allesamt verfehlt: die blau-schwarze Mehrheit zu brechen, ihren Stimmenanteil zu verdoppeln und die Freiheitlichen zu überholen. Obgleich: In einigen Bundesländern erreichten sie den dritten Platz, in Wien mit 14,9 Prozent gegenüber den 8,6 Prozent der FPÖ sogar deutlich. Der Zugewinn von zwei Mandaten ist aber eine herbe Enttäuschung.
FPÖ-Chef Herbert Haupt hatte angekündigt, er würde mit dem Bungeeseil vom Donauturm springen, wenn seine Partei mehr als 19,8 Prozent erreicht. Der Mann muss seine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Allerdings dürften seine Tage als Parteichef gezählt sein. Das Ergebnis bestätigt die schwärzesten Prognosen. Selbst in Kärnten, wo Jörg Haider als Landeshauptmann regiert, wurde die Partei von 38,6 auf 19,2 Prozent halbiert. Bundesgeschäftsführer Karl Schweitzer freute sich immerhin, dass „der Wähler Rot-Grün eine eindeutige Absage erteilt“ habe und kündigte die „größte Wählerrückholaktuion der Geschichte“ an. Niederösterreichs FPÖ-Chef Ernest Windholz könnte seine Verbitterung nicht verbergen. Er glaubt noch immer, seine Partei sei Opfer einer Intrige: „Die FPÖ war tüchtig bei den Reformen, und die ÖVP war tüchtig beim Verkaufen der Reformen.“ Am Montag sollen Weichenstellungen getroffen werden, ob Jörg Haider wieder das Ruder übernimmt und ob man sich erneut als Regierungspartner andienen will.
Begeistertes Springen gab es vor der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse, wo Funktionäre und Freunde auf die erste Hochrechnung mit Enthusiasmus reagierten. Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat brachte nur eine endlose Serie von Danksagungen ins Mikrofon. Man hält sich bedeckt: „Wir warten demütig auf das Endergebnis.“ Die ÖVP ist in der bequemen Lage, dass sie sich den Koalitionspartner aussuchen kann.
Wie die künftige Regierung aussehen wird, ist unklar. Alfred Gusenbauer steht beim Wähler im Wort, beim zweiten Platz in Opposition zu gehen. Die Grünen haben eine Regierungsbeteiligung an der Seite der ÖVP abgelehnt. Und die Freiheitlichen hatten sich für eine Fortsetzung der Allianz mit Schüssel eine Latte von 15 Prozent gelegt. Haider hat Schüssel sogar eine deutliche Abfuhr erteilt.
So steht Wolfgang Schüssel zwar als strahlender Triumphator, aber zunächst ohne Partner da. Entsprechend zurückhaltend äußerten sich auch die ÖVP-Funktionäre. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll sprach sich für eine „breite, kalkulierbare und stabile Regierung aus“. Er war schon immer ein Befürworter der großen Koalition. Sein Salzburger Kollege Franz Schausberger setzt auf Abwarten: „Man weiß nicht mal, wer wird nach diesen teilweise katastrophalen Resultaten der Gesprächspartner der ÖVP sein.“ So wird sich auch Schüssel hüten, vorschnelle Koalitionsaussagen zu machen. Eines ist sicher: Leicht wird die Regierungsbildung nicht werden.
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