„Wenn ich weg bin ...“

Abschied von Rudolf Augstein im Michel: Erste Reihe aus Politik und Medien ringt nach Worten über das Schwierige in der Person des Letzten aus der Gründergeneration des Nachkriegsjournalismus

von PETER AHRENS

Ob er das so gewollt hätte, war im Vorfeld die vielleicht am häufigsten gestellte Frage. Rudolf Augstein, der Atheist, der Kirchenkritiker, der Skeptizist – geehrt gestern Mittag mit einer Trauerfeier in der Hauptkirche St. Michaelis. Mit Predigt, Chorälen und dem Vater Unser. Michel-Pastor Helge Adolphsen versucht in seiner Predigt gar nicht, diesen Widerspruch zu überdecken. Vor den über 2000 Gästen zitiert er den verstorbenen Spiegel-Herausgeber, der zum Thema Tod und Auferstehung nur gesagt hat: „Wenn ich weg bin, bin ich weg. Ich glaube nicht an die Wiederauferstehung eines Toten und muss mich daher damit nicht mehr beschäftigen.“

Es gehe nicht darum, „den Toten nachträglich zu vereinnahmen“, macht Adolphsen deutlich. Doch auch „wenn Augstein mit der Kirche seine Probleme gehabt“ habe, „so hat er uns Kirchenleuten auch viel Bedenkenswertes ins Stammbuch geschrieben“. Zudem habe er eine kirchliche Trauerfeier zwar nicht explizit gewollt, sie aber auch nicht unbedingt abgelehnt.

Alle sind sie gekommen, um dem am 7. November im Alter von 79 Jahren gestorbenen Augstein das zu erweisen, was gern als letzte Ehre bezeichnet wird. Bundeskanzler Gerhard Schröder ist ebenso anwesend wie Bundespräsident Johannes Rau und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Die Chefs der großen Medienhäuser, der überregionalen Zeitungen sind da, von Focus-Mogul Helmut Markwort bis Tagesspiegel-Chef Giovanni di Lorenzo. Mit Ortwin Runde, Henning Voscherau und Hans-Ulrich Klose sitzen drei frühere Bürgermeister der Stadt, deren Ehrenbürger Augstein seit 1994 war, in der Kirchenbank. Altkanzler Helmut Schmidt tritt erstmals seit seinem Herzinfarkt im Sommer öffentlich in Erscheinung.

Sie alle zollen der Lebensleistung Respekt, der „herausragenden Persönlichkeit“, wie Bürgermeister Ole von Beust sagt, dem „brillanten Provokateur“, wie ihn Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt nennt, dem „letzten Gründungsvater des freien Journalismus“, wie Rau ausführt, dem „nimmermüden Aufklärer“, wie Theatermacher Jürgen Flimm ergänzt.

Doch in allen Reden schimmert auch das Schwierige in der Persönlichkeit des Geehrten durch. FAZ-Herausgeber Joachim Fest spricht vom „Empfinden von Distanz“, das viele im Umgang mit Augstein gespürt hätten, vom „Außenseitertum, das ihm eigen war“. Keine Würdigung des Augstein‘schen Schaffens, ohne dass irgendwann die Worte Argwohn, Misstrauen, Skepsis und natürlich Zynismus fallen. Das war kein Mann, der den Mitmenschen einen leichten Zugang zu ihm verschaffte – das wird auch bei den Würdigungen noch einmal klar.

Augsteins Tochter Franziska, die abweichend vom vorgesehenen Protokoll ans Rednerpult tritt, ist es vorbehalten, auch an den Vater, an den Privatmenschen Augstein zu erinnern. Dem es Vergnügen machte, selbst hohe Gäste im Morgenmantel zu empfangen, weil er nicht viel auf Etikette gab, „er sich selbst nicht so wichtig nahm und Achtung hatte vor denen, die sich auch nicht wichtig nahmen“. Dass ihr Vater Zyniker gewesen sei, möchte sie nicht unwidersprochen stehen lassen. Sie sieht ihn eher als „Realist, der ausgesprochen hat, wie die Welt nun einmal ist“.

Lediglich bei ihr und bei Flimms Rede konkretisiert und gleichzeitig verkompliziert sich das Bild von der Persönlichkeit Augsteins. Wenn Flimm an das berühmte Foto erinnert, auf dem der Spiegel-Herausgeber Faxen machend und ausgelassen lachend zwischen chinesischen Kindern hockt, dann scheint das wenig zusammenzupassen mit dem Mann, der sich „mit Leichenbittermiene“ mit Adenauer und Strauß über Jahre im Kriegszustand befand.

Axel Springer, Axel Eggebrecht, Gerd Bucerius, Henri Nannen, Marion Gräfin Dönhoff und jetzt Rudolf Augstein: Er war der letzte der Gründergeneration des Nachkriegsjournalismus, die aus Hamburg eine Medienstadt gemacht haben. „Der Spiegel und Hamburg gehören zusammen“, zitiert von Beust den Toten, doch der frühere Spiegel-Edelrechercheur Hans Leyendecker, heute bei der Süddeutschen Zeitung in München Kollege der Augstein-Kinder Jakob und Franziska, stellt in einem Interview vor der Trauerfeier fest: Mit den hanseatischen Pfeffersäcken habe Augstein immer so seine Probleme gehabt, und enge Beziehungen zu Hamburger Politikern habe es für ihn nie gegeben. Es sei „lediglich die Stadt, in der er letztlich gelebt hat“, entromantisiert Leyendecker die Beziehung des gebürtigen Hannoveraners zu der Stadt seines Wirkens.

Beerdigt ist er auf eigenen ausdrücklichen Wunsch denn auch auf Sylt, wo Augstein ein Haus besessen hat, und nicht auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Dass der Bürgermeister es lieber anders interpretiert, ist nicht verwunderlich: „Dass Werte wie Weltoffenheit und Toleranz auch heute in Hamburg gelebt werden, liegt an Persönlichkeiten wie Axel Caesar Springer, Henri Nannen und Rudolf Augstein“, sagt Ole von Beust.