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„Die Deutschen haben Angst vor uns“

Sie verfolgen angespannt die Chronik eines angekündigten Krieges. Rund 5.000 Iraker leben in Berlin – darunter Kurden und Araber, Schiiten und Sunniten. Sie alle fürchten die lange Hand des Diktators, den Krieg und die Vorurteile der Nachbarn. „Wer hier ist, ist gegen Saddam“

„Wir sind hier die Zielscheiben von Saddam Husseins Agenten“„Na, was machen eure Chemiewaffen?“ – „Welche? Die, die ihr geliefert habt?“

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Suhad spricht leise. Geschickt kombiniert sie ihre wenigen Worte Deutsch zu immer neuen Sätzen. Leise sein, geschickt sein. So musste ihr Leben laufen in den letzten 24 Jahren. Nachdem sie ein einziges Mal laut war und sich in ihrer Heimat Irak engagierte, für die Rechte der Frauen, für eine gerechte Politik. Danach blieb nur noch die Flucht. Aus Bagdad, nach Bulgarien, nach Syrien, in die Tschechoslowakei, die den irakischen Flüchtlingen einst Schutz gewährte, und schließlich Deutschland. Dort landete Suhad vor 13 Jahren mit zweien ihrer drei Kinder im Münsterland. Die einstige Gerichtsbeamtin schlug sich durch mit Putzen, Kinder betreuen, Fließbandarbeit. Dreizehn Jahre lang Münsterland, kein Tag davon ohne Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat. „Ich fühlte mich so isoliert“, meint Suhad. Deshalb zog sie vor wenigen Wochen nach Berlin. Hier will sie sich engagieren, so gut es geht. Vor allem für irakische Frauen. Sie möchte sich nicht fotografieren lassen, auch ihren wirklichen Namen verrät sie nicht, denn ihr ältester Sohn lebt noch im Irak.

Frei fühlen sich in Berlin nur die IrakerInnen, die keine Verwandten mehr in der Heimat haben. Denn wer noch Angehörige im Lande hat, kann Geschichten wie Saleh A. erzählen. Bei einer Veranstaltung gegen den Irakkrieg kritisierte Saleh, irakischer Kurde, das Baath-Regime des Saddam Hussein. Einige Tage später erhielt er einen verzweifelten Anruf seines Bruders aus dem Nordirak. Der saß gerade zwei Herren in Uniform gegenüber und bat ihn nervös, sich ruhig zu verhalten. Sonst würde was passieren, sagte er.

„Wir sind Zielscheiben von Saddams Agenten“, sagt Ahmad Berwari. Der politisch aktive Kurde, der seit 1985 in Deutschland lebt, weiß, wovon er spricht. Die Berliner Polizei hat ihn aufgefordert, sich nur noch an bestimmten Orten mit Unbekannten zu treffen. Mit der Nervosität in Bagdad steige die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen auf Regimegegner, selbst hier in Berlin. In den einzelnen Treffs, in der Charlottenburger Nehringstraße, oder der Neuköllner Sanderstraße, kenne und vertraue man sich. „Bei größeren Veranstaltungen sind wir aber sehr vorsichtig, wer weiß, wer da so dabei ist.“

Leben im Exil – das ist die lauernde Angst vor Repression. „Die Familie in der Heimat ist Saddams Geisel“, sagt Berwari. Seine Eltern und Geschwister flohen 1981 aus Bagdad. Der Vater, ein hoher Ministerialbeamter und Kurde, hatte sich geweigert, in Saddams Baath-Partei einzutreten und wurde zweimal verhaftet. Der dritten Runde entkam er durch Flucht. Ahmad Berwari, in Deutschland promovierter Philosoph, muss daher um niemanden bangen. Ein Grund, warum er offen politisch tätig ist und Interviews gibt.

Die sind nötig, ist Berwari überzeugt, denn in der deutschen Öffentlichkeit gibt es Missverständnisse. Ärgerlich findet er spontane Solidaritätsbekundungen einiger Berliner, „die Antiamerikanismus scheinbar mit einer Saddam-freundlichen Haltung verwechselten“. So versuche ein alter Kommilitone, der als links gelte, Berwari immer wieder davon zu überzeugen, dass Saddam richtig handele. Der Kampf gegen Amerika erfordere eben Diktatoren. „Ich kann diese Haltung vieler Linker einfach nicht verstehen“, meint Berwari, lacht aber noch. Dem Freund hat er kürzlich zum Geburtstag ein Saddam-Poster geschenkt.

Seltsame Begegnungen hat auch Saleh A. Immer wieder wird er von Deutschen gefragt: „Na, was machen eure Chemiewaffen?“ – „Ich antworte dann nur noch: Welche? Die, die ihr geliefert habt?“ Frustriert ist Saleh allerdings, dass die Berliner Behörden seit Beginn des ersten Golfkrieges 1991 Einreisevisa für IrakerInnen nur noch äußerst restriktiv erteilen. Gerne wollte der Kurde, der seit über 20 Jahren in Berlin lebt und nicht mehr in die Heimat reisen darf, seine Mutter einladen. Obwohl er Bürgschaften, Unterschriften und Garantien besorgte – seine Mutter erhielt noch nie ein Visum. Täglich an sie denken, und doch Welten entfernt sein von der Heimat – das ist die banale Schizophrenie aller unfreiwilligen Exilanten. Die Iraker aber verfolgen gerade die Chronik eines angekündigten Krieges – eine perverse Situation, wie mancher sagt. Reden mit den Menschen daheim, sie trösten oder einfach nur erfahren, was los ist – ist schon eine subversive Angelegenheit. Zwar gibt es jetzt, durch Handy und Internet, neue Möglichkeiten, Informationen in und aus dem Land zu schmuggeln. Doch ein Telefonat bleibt eine gefährliche Sache. Mit ihrem Sohn, einem Kaufmann im Süden des Iraks, der unter Druck des Terroragenten Saddams steht, weil er im Ölbusiness ist, kann Suhad nur Belanglosigkeiten austauschen. Für wichtige Mitteilungen gibt es Sprachcodes. Ist jemand inhaftiert worden, heißt es, „er ist im Krankenhaus“. Ist jemand verstorben, sagt man, „er ist verreist“. Klar, wisse das auch der Geheimdienst. Aber er könne dann eben nichts machen.

„Ich verstehe nicht“, sagt Suhad und guckt etwas ratlos. Wenn sie sagt, sie komme aus dem Irak, hätten viele Deutsche Angst. „Sie meinen, ich sei eine Anhängerin des Diktators.“ Zudem kämpft sie seit Jahren gegen das Vorurteil an, sie sei wegen der Sozialhilfe hier. „Ich war eine reiche Frau“, sagt sie stolz. Hohe Beamtin, ihr Mann erfolgreicher Kaufmann. „Wer von uns hier ist, ist gebildet und gegen Saddam.“ „Seit 1963 müssen wir ihn ertragen“, pflichtet ihr Abdul Al-Safi heftig bei. Beide besuchen an diesem Nachmittag eine Diskussionsveranstaltung im kurdischen Kulturverein Al Rafidein in Neukölln. Al-Safi ist schiitischer Iraker aus Kerbala und lebt seit 34 Jahren in Deutschland. Hier spielt es keine Rolle, ob einer Sunnit, Schiit oder Kurde ist. Hier ist man gemeinsam einsam und heimatlos.

Da hilft ein bisschen Zusammenrücken. Debattieren, obwohl es für offene Opposition nicht reicht. Krieg? Natürlich wäre das furchtbar. Doch aus der Heimat höre man auch, dass Bomben und damit ein Ende Saddams fast eine gute Sache wären. Die Frage ist schwierig, die Diskussionen darüber in den letzten Wochen endlos. Für den gemütlichen Teil des Tages, nach der Diskussion, grillt ein junger Mann Hähnchenschenkel in der Vereinsküche. Gleich nebenan, in einem türkischen Café mit Neonlicht und Flipperautomat, trinken türkische Männer Tee. Im Fernsehen an der Wand flimmert auf CNNTürk eine Reportage über irakische Waffenlager. Draußen ist es grau und nebelig. Vielleicht werden die beiden Staaten gegeneinander bald Krieg führen.

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