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Lkw-Fahrer auf den Barrikaden

In Frankreich streiken Angehörige der Fuhrbranche für mehr Lohn. Einige Gewerkschaften tanzen aus der Reihe und einigen sich mit den Arbeitgebern

PARIS taz ■ Der Hafen von Marseille und zahlreiche Verkehrsknotenpunkte sowie Großmärkte in Frankreich waren gestern Mittag von Schwerlastern blockiert. Am ersten Tag des Streiks für einen 13. Monatslohn und Lohnerhöhungen „filterten“ die Lkw-Fahrer an rund 30 Barrikaden lediglich den Verkehr. Doch sie drohten gestern bereits damit, ihren Arbeitskampf auszudehnen. Notfalls wollen sie auch die von massiven Polizeieinheiten bewachten Mineralölraffinerien des Landes blockieren – obwohl Innenminister Nicolas Sarkozy für diesen Fall mit hartem Durchgreifen gedroht hat.

Der soziale Konflikt in der Branche mit rund 330.000 Beschäftigten hatte in der Nacht zu Montag eine bittere Note bekommen. Nach zwei Wochen Verhandlungen waren vier kleinere Gewerkschaften (darunter die christliche CFTC und die FO) vorgeprescht und hatten ein Abkommen mit den Patrons unterzeichnet. Darin ist keine Rede mehr von dem ursprünglich verlangten 13. Monatslohn, und die Löhne in der Branche werden bis 2005 auf der Obergrenze des Mindestlohnes (1.100 Euro) eingefroren.

Es gehört zu den Regeln des französischen Rechts, dass Abkommen auch dann verbindlich sind, wenn sie lediglich von Minderheitsgewerkschaften unterzeichnet werden. Im Falle der Fuhrbranche lehnten die Mehrheitsgewerkschaften CFDT und CGT das Abkommen ab. Doch einen Verhandlungspartner hatten sie nicht mehr. Die Patrons hatten sich nach der Unterzeichnung zurückgezogen.

Somit kündigte sich mit dem Aufzug von Streikposten der CFDT und CGT Sonntagnacht ein Machtkampf zwischen den Gewerkschaften an. Sprecher der Minderheitsgewerkschaften erklärten, sie hätten „das Maximale“ erreicht und es gebe keine Veranlassung, „das Land zu lähmen“. Sprecher von CFDT und CGT rufen zu neuen Gesprächen auf und bitten die Regierung um Unterstützung. In Frankreich ist das Streikrecht in der Verfassung garantiert. Der Chef der rechten Regierung, Jean-Pierre Raffarin, erklärte gestern, dass er das Recht respektiere. Zugleich warnte er die CFDT und die CGT davor, die Wirtschaft des Landes zu blockieren.

Für die Branche handelt es sich um die voraussichtlich letzte Lohnrunde vor der Osterweiterung der EU. Durch den Beitritt befürchten die Beschäftigten der Branche ein weiteres Sozialdumping. „Es wäre falsch, jetzt klein beizugeben“, argumentieren die französischen Lkw-Fahrer.

In der Bevölkerung ist ihr Konflikt trotz der bekannten Probleme aus früheren Lkw-Fahrer-Protesten populär. Nach Umfragen der Sonntagszeitung Journal du Dimanche halten 75 Prozent den Streik für gerechtfertigt.

Auch aus einem anderen Grund muss Innenminister Sarkozy gut überlegen, bevor er Polizeieinheiten gegen die Lkw-Fahrer einsetzt: Für heute ist ein Aktionstag des gesamten öffentlichen Dienstes gegen die Sparmaßnahmen der rechten Regierung angekündigt. Mit einem Polizeieinsatz würde Sarkozy der Bewegung mehr Zulauf verschaffen. DOROTHEA HAHN

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