: Deutsche Sonderwünsche
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement warnt in Brüssel vor Fehlentwicklungen beim geplanten Emissionshandel. Einigung bei Liberalisierung von Strom und Gas
BRÜSSEL taz ■ In neuer Funktion besuchte Wolfgang Clement gestern einen alten Bekannten, den Wettbewerbskommissar Mario Monti. Während der neue Bundeswirtschaftsminister bei früheren Treffen – als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen – Themen wie die Landesbanken oben auf der Tagesordnung hatte, geht es ihm nun um globalere Anliegen. Die Pläne der EU zur Liberalisierung des Energiemarktes und beim Handel mit Emissionsrechten gehen den deutschen Energieversorgern zu weit.
Deshalb versuchte Clement gestern dem Wettbewerbskommissar die Sorgen der deutschen Industrie zu verdeutlichen. Bei der Reduzierung von Schadstoffen will Deutschland das System freiwilliger Verpflichtungserklärungen der jeweiligen Branchen beibehalten, da es sich in der Vergangenheit bewährt habe. „Wenn die Kommission bei ihrer Linie bleibt, werden in Deutschland keine neuen Kraftwerke mehr gebaut und keine bestehenden modernisiert“, warnte Clement.
Den Vorschlag der EU-Kommission, den CO2-Ausstoß getrennt nach Branchen zu messen und eine Börse für Emissionsrechte zu schaffen, kritisierte Clement scharf. „Dieser bürokratische Aufwand hat planwirtschaftliche Züge“, sagte er am Rande des Treffens der Energie- und Transportminister. Clement forderte, dass jedes Land als Block gemessen werden soll. In ihrer Koalitionsvereinbarung habe sich sie Bundesregierung bereit erklärt, bis 2020 den Kohlendioxid-Ausstoß freiwillig um 40 Prozent zu senken – unter der Bedingung, dass die anderen EU-Länder eine Reduktion um 30 Prozent erreichen. In Brüssel werden die Chancen Deutschlands, seine Sonderwünsche durchzusetzen, als äußerst gering eingeschätzt.
Bei der Richtlinie zur Liberalisierung des Gas- und Strommarktes musste die Bundesregierung gestern nachgeben: Bis Mitte 2007 wird der Energiemarkt der Union vollständig für den Wettbewerb geöffnet. Nach dem Markt für gewerbliche Kunden soll zum 1. Juli 2007 auch die Energieversorgung der privaten Haushalte liberalisiert werden, berichtete der dänische Ratsvorsitz beim Treffen der EU-Energieminister am Montag in Brüssel. Kunden können ihren Lieferanten dann frei wählen. Weitere Details waren bis Redaktionsschluss nicht bekannt.
Kommission und Parlament wollten zum Beispiel, dass bis dahin Stromversorger mit mehr als 100.000 Kunden die Unternehmensbereiche Netz und Stromverkauf getrennt betreiben. So soll der Zugriff kleinerer Anbieter auf bestehende Stromnetze leichter werden.
Auch hier stößt das deutsche Nein auf wenig Verständnis. Da die neue Richtlinie gerade Produzenten von erneuerbaren Energien bessere Marktchancen eröffnen soll, stehen die Deutschen – ähnlich wie beim Emissionshandel – als Blockierer da, obwohl sich im EU-Vergleich die Ökobilanz Deutschlands bei der Energieherstellung durchaus sehen lassen kann. Der Bundeskanzler hat inzwischen in Brüssel den Ruf, deutsche Industrieinteressen wichtiger zu nehmen als gemeinschaftliche Beschlüsse.
Wolfgang Clement hat bei seinem ersten Auftritt den EU-Kollegen signalisiert, dass er es ebenso machen will. Das dürfte dazu führen, dass sich Deutschland isoliert, ohne die Chancen für seine Anliegen zu verbessern. DANIELA WEINGÄRTNER
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