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Ein Genozid, ein Buch, ein Jour fixe

In Ruanda starben zwischen April und Juni 1994 zwischen einer halben und einer Million Menschen, als nach dem Tod des Staatschefs Juvénal Habyarimana bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz am Abend des 6. April die Hutu-dominierte Armee die Macht ergriff und die Ausrottung der Tutsi-Minderheit einleitete. Organisierte Milizen trieben die Tutsi zusammen und töteten sie an Straßensperren, Zufluchts- und Sammelstellen wie Kirchen und in ihren Häusern.

Die internationale Gemeinschaft griff nicht ein, obwohl sie von den Plänen vorher schon Kenntnis hatte. Ausländische Eingreiftruppen rückten in Ruanda ein – allerdings nur, um weiße Ausländer zu evakuieren. Sogar eine bereits in Ruanda stationierte UN-Blauhelmtruppe wurde abgezogen, anstelle die Massaker zu beenden.

Nach Berechnungen der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ forderte der Völkermord über eine halbe Million Menschenlebendrei Viertel der Tutsi-Bevölkerung Ruandas. Die offizielle Zählung der Völkermordopfer, vorgenommen 2001 von Ruandas neuer Regierung, kommt auf 1.074.017 Tote – eine Zahl, die allerdings auch alle Opfer des 1990 ausgebrochenen Bürgerkriegs zwischen Hutu-Armee und der Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) sowie die Toten der ersten Monate nach der Machtergreifung der RPF einschließt.

Der Völkermord endete, als die Tutsi-Rebellen der RPF Ruanda eroberten und das Hutu-Militärregime im Juli 1994 nach Zaire floh. Im Herbst 1996 rückte Ruandas neue Armee in Zaire ein, um die Hutu-Militärlager zu zerschlagen. Es folgte ein Krieg zwischen ruandischen Kriegsparteien auf dem Gebiet Zaires, heute Demokratische Republik Kongo, der erst 2002 mit einem Friedensschluss beendet wurde.

Zum ersten Mal ist jetzt eine umfassende Darstellung des Völkermords und seiner Hintergründe auf Deutsch erschienen. „Kein Zeuge darf überleben: Der Genozid in Ruanda“ (Hamburger Edition, Hamburg 2002, 947 Seiten, 48 Euro) ist die Übersetzung eines 1999 veröffentlichten Berichts von Human Rights Watch.

Das Werk ist kein trockener Untersuchungsbericht, sondern eine umfassende wissenschaftliche Studie über Vorgeschichte, Ablauf und Struktur des Genozids. Ausführlich wird auch die Verantwortung des Auslands behandelt. Entgegen manchem Vorurteil wird die internationale Passivität als noch unerschütterlicher gewertet als das Mitmachen der Ruander. Die Völkermordplaner „konnten ihr Ziel einer vollkommenen Mobilisierung der Bevölkerung für den Vernichtungsfeldzug nicht erreichen“, heißt es. Hingegen: „Außerhalb Ruandas fanden die meisten politischen Führer die Massentötungen durchaus erträglich.“ Nunmehr, so das Resümee in Hinblick auf die Menschenrechtsarbeit, gelte es, „Wege zu finden, mehr Menschen zu motivieren, sich solchen Verbrechen entgegenzustellen und deren Durchsetzungsvermögen zu stärken“.

Alison DesForges, die Autorin des Buches, ist am Dienstag, den 3. Dezember, im Jour Fixe der taz und der Heinrich-Böll-Stiftung zu Gast. Zusammen mit dem Juristen Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung und unter der Moderation von taz-Redakteur Dominic Johnson werden die Aufarbeitung des Völkermords und die Lage Ruandas diskutiert. Heinrich-Böll-Stiftung, Hackescher Markt, Berlin-Mitte, Beginn 19.30 Uhr. Eintritt frei.

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