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Wo sich Schakal und Wolf begegnen

Irans grüne Seite hinter den Bergen, wo die reichen Teheraner ihre Sommervillen bauen. In den fruchtbaren Provinzen Gilan und Mazanderan am Kaspischen Meer sollen die Menschen weniger fanatisch sein, gelassener und lockerer in den Sitten

Nur der einheimische Hund fängt den Schakal aus den Tälern von Mazanderan Die Arme erhoben, abwartend standen sich Mensch und Tier gegenüber

von REINGARD DIRSCHERL

Die weit in den Himmel ragenden weißen Gipfel des Elburs halten die Wolken davon ab, in den Süden zu flüchten und sich über der ausgetrockneten Erde der iranischen Hochebene auszugießen. Die etwa 500 Kilometer lange Gebirgskette mit dem mächtigen Vulkankegel des Damavand (5.604 Meter) bildet eine unerschütterliche Klimascheide. Geizig bewahrt sie die grüne Nässe am nördlichen Saum des Landes und stemmt ihre steil abfallenden Felswände gnadenlos in die Höhe.

Die Fahrt von der Hauptstadt Teheran aus hinauf ins Gebirge und hinab zum Kaspischen Meer dauert. Endlos schlängelt sie sich durch Schluchten und schwarze Tunnel zur Krete hinauf, bis sie den Berg überwunden hat und, nach und nach flacher werdend, ausläuft. In der milden, feuchten Luft am Binnenmeer biegen sich die Äste der Orangenbäume unter der Last der nicht geernteten reifen Früchte beinahe bis zum Boden. Wo Granatäpfel, Kaki und neuerdings Kiwi angebaut werden, gedeiht auf den weiter östlich gelegenen Reisfeldern um Babol und Sari auch der beste Reis des Landes.

Vor Irans nördlicher Küste machen die Fischer Jagd auf den heiß begehrten weiblichen Stör. Die kostbaren, silbrig gelb und schwarzbraun glänzenden Rogen aus dem Bauch des Störweibchens sind jedoch überwiegend für den Export bestimmt. Iranischer Kaviar ist weltweit gefragt. Um die 37 Millionen Dollar soll er pro Jahr einbringen. Die Einheimischen handeln Kaviar fast nur unter dem Ladentisch. Auf den Tisch kommt der Weißfisch, Reis in mannigfaltigen Variationen und der über Monate in Essig gelagerte süße Knoblauch.

Hinter den Bergen, in den lauen Meeresprovinzen Gilan und Mazanderan, lebt ein anderer Menschenschlag. Weniger fanatisch sollen sie sein, gelassener und lockerer in ihren Sitten. Das sagen ihnen zumindest in zahlreichen, oft anzüglichen Anekdoten die Iraner nach, die im Landesinnern auf dem Trockenen sitzen und auf so manches, was der Norden zu bieten hat, verzichten müssen. Die Mazanderaner selbst sind davon überzeugt, dass es kein Fremder mit ihnen aufnehmen kann. Nur der einheimische Hund fängt den Schakal aus den Tälern von Mazanderan, lautet ein Sprichwort in freier Übersetzung.

Mazanderan zählt zu den fruchtbarsten und dichtestbesiedelten Provinzen Irans. Entlang dem Kaspischen Meer ist die Bautätigkeit rege. Zum Lifestyle der betuchten Teheraner gehört schon seit langem die Villa am Meer, und so haben die Großstädter nach und nach die schönsten Flecken der Region aufgekauft. Am Hang zwischen Palmen und Oleandersträuchen liegt das Hotel Qhadim. Das Bauwerk aus den späten Dreißigerjahren umschwebt noch ein Hauch von monarchischem Luxus. Für die von der wildromatischen Natur angelockten Reisenden halten die Einheimischen immer gern eine Villa frei. In den Tälern der Umgebung hausen Stachel- und Wildschweine, und zum Strand sind es nur ein paar Schritte. Von dort folgt der Blick einem Geschwader schwarzer Wildenten, schweift hinauf zu den schneebedeckten Viertausendern.

Von Ramsar aus windet sich die asphaltierte Straße hinauf ins Gebirge. Sie endet abrupt auf einer Höhe von 3.500 Metern. Hier, in der Stille über der Wolken, schläft ein Dorf unter dem Schnee. Jawarherdeh, „Juwel“, haben es die Einwohner genannt. Ein Eiskristall im Winter, im Sommer jedoch ein Hort der Kühle, der die Städter aus der Gegend in ihre Ferienwohnung hinaufzieht. Das ausgewaschene Transparent über dem Tor eines Hauses weist darauf hin, dass man hier oben noch Häuser kaufen kann. In den Wintermonaten bewohnen nur wenige Einheimische den Adlerhorst. Das Regiment der Kälte hat die meisten vertrieben. Selbst die Sittenwächter der Revolutionspolizei, die gefürchteten Pasdaran, seien hinabgezogen, erzählt, langsam auftauend, ein alter Hirte im lokalen persischen Dialekt, während er die blökenden Karakulschafe vor sich hertreibt. Der Klang seiner Worte gleicht dem Rauschen der Sturzbäche, die, das Kieselgeröll mit sich reißend, ins Tal herniederprasseln. So sehr rollt und schleift er das R vom Rachen in die Kehle.

Amu Taghi, der Einsiedler, hat bis zu seinem Lebensende hier oben in einer Holzhütte ausgeharrt. Bis man ihn hinabfuhr auf den Friedhof der Stadt. Vor seiner baufälligen Behausung, die mehr und mehr in sich zusammenbricht, blüht eine Rose unter dem schneebedeckten Dach. Es ist lange her, seit seine Hütte die einzige in einer unwegsamen Gegend war. Damals wagten sich die Bären, wenn ihnen der Magen knurrte, bis auf wenige Meter heran und richteten sich auf den Hinterpranken bedrohlich zu voller Größe auf. Dann galt es, lehrte Amu Taghi, blitzartig eine Anhöhe aufzusuchen und genau dasselbe zu tun, wenn einem das Leben lieb war: die Arme in die Luft und ruhig abwarten. So standen sich Mensch und Tier gegenüber, bis dem Menschen das Blut aus den Händen und dann aus den Armen wich und der hungrige Vierbeiner sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, torkelnd aufgab und das Weite suchte.

Der Eremit ist vor drei Jahren gestorben, erklärt der Dorfwächter, doch noch immer kommen Bären und Wölfe aus den Höhlen in die Nähe der Ansiedlung. Er deutet auf die kargen nördlichen Felswände und weist auf die nur leicht eingesunkenen Spuren eines einzelnen Wolfs im Schnee hin.

In seiner engen zweistöckigen Lehmhütte – der obere Stock wird im Sommer bewohnt – stehen ein elektrischer Samowar, ein Holzofen, und entlang der Wände liegen einige Kissen und Schaffelle, Schlafplatz und Gästesofa zugleich. Es ist heiß. Die Besucher sollen nicht frieren. Als der besorgte Gastgeber Benzin über die brennenden Holzscheite gießt, zischt eine Stichflamme aus dem stöhnenden Ofen. Der Dampf des kochenden Teewassers lässt das Fenster hoch oben in der Wand beschlagen. Eine Glühbirne taucht den Raum in gelbliches Licht. Der Mann stellt die Teegläser vor die Fremden und bietet ihnen Brot und Opium an. Natürlich ist Letzteres verboten im Iran – der Staat ist stolz auf seine Spitzenstellung im Kampf gegen den internationalen Drogenhandel –, doch die Gastfreundschaft hoch oben in den Bergen gebietet, das zu geben, was man hat.

Draußen raucht der frische Teerbelag und wälzt sich über die gefrorene Erde. Die Passstraße frisst sich Meter für Meter hinauf, um die im Landesinnern liegende Stadt Ghaswin mit Ramsar zu verbinden. Die mit den Ferienwohnungen betrachten die Entwicklung mit Skepsis, sehen die Natur und ihre Ruhe bedroht. Für den Dorfwächter bricht eine neue Zeit an. Ihm kann es nicht schnell genug gehen, dass die Annehmlichkeiten der Stadt Einzug halten.

Auf dem Weg von der Wildnis zur Zivilisation zeugen weggeworfene Getränkebüchsen und Glasscherben am Wegesrand von einer Umkehr: Die Verwilderung geht von den Städten aus. Die neuen Räuber, von denen der Dorfwächter spricht, passen nicht mehr ins Klischee der Wegelagerer aus den Bergen. Sie liegen nicht versteckt auf der Lauer, um einen Reisetransport aus der Stadt zu überfallen. Sie kommen selbst von dort. Auf ratternden Motorrädern mühen sie sich lärmend und meist betrunken den Hang hinauf und machen das Dorf unsicher. Dann, so berichtet der Wächter, nehme er schon mal seine Flinte und schlage die pöbelnden Randalierer mit Schüssen in die Flucht. Die Revolutionspolizei auf Patrouille ist weniger zimperlich. Wer ihr in die Hände fällt, hat nichts mehr zu lachen. In der Nacht, wenn sich Räuber wie Gendarm zurückgezogen haben, machen sich die Wölfe im Rudel auf, um auf der Suche nach Essbarem durch die Gegend zu streifen. Dann ist es nicht ratsam, zu Fuß unterwegs zu sein.

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