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Demostau oder Grundrechtsstauchung

Körting erfreut mit seinem Vorschlag, die Innenstadt von Demonstrationen zu entlasten, zwar die Einzelhändler, stößt aber auf heftige Kritik beim Koalitionspartner. PDS nennt Einzelfallprüfung beliebig und lehnt Rechtsänderung ab

In der SPD mehren sich die Stimmen derer, die sich für eine Einschränkung des Demonstrationsrechts aussprechen. Nach Innensenator Ehrhart Körting sprach sich nun auch Fraktionschef Michael Müller dafür aus, an bestimmten Tagen wie etwa verkaufsoffenen Samstagen über eine Verlegung von Demonstrationen nachzudenken.

Bereits zuvor hatte der Innensenator zu bedenken gegeben, dass alleine bis zum Oktober diesen Jahres 2.259 Demonstrationen stattgefunden hätten – rund 300 mehr als im Vorjahreszeitraum. Wenn die Stadt nicht im Demostau stecken wolle, müsse, so Körting, „ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Recht auf Versammlungsfreiheit einerseits und der freien Entfaltung andererseits gefunden werden“. Körtings Vorstoß wurde unter anderem von den Einzelhändlern am Kurfürstendamm, Berlins beliebtester Demomeile, begrüßt.

Mit dem Vorstoß lebt in Berlin eine Diskussion wieder auf, die man eigentlich nach dem Abgang von Körtings Vorgänger Jörg Schönbohm (CDU) beendet glaubte. Vor dem Hintergrund zahlreicher Nazi-Aufmärsche in Berlin hatte Schönbohm seinerzeit die Ausweisung bestimmter demonstrationsfreier Zonen etwa am Brandenburger Tor gefordert. Diesen Vorschlag hatte Schönbohm als nunmehr brandenburgischer Innenminister erst vor drei Wochen erneuert. Im Vorfeld der Nazi-Demo im brandenburgischen Halbe erklärte Schönbohm, an „Orten mit hohem Symbolwert“ und einer „gewaltigen außenpolitischen Wirkung“ wie dem dortigen Soldatenfriedhof, aber auch am Leipziger Völkerschlachtdenkmal oder am Brandenburger Tor hätten solche Aufmärsche nichts zu suchen.

Dieser Argumentation will der Berliner Innensenator allerdings noch nicht folgen. „Den gesetzlichen Ausschluss bestimmter Orte für Demonstrationen kann es nicht geben.“ Aber auch eine Einzelfallprüfung, wie sie von Körting und Müller nun in die Diskussion gebracht wurde, ist in der Koalition umstritten. „Das Demonstrationsrecht unterliegt nicht dem Belieben der Versammlungsbehörde“, sagte gestern die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, Marion Seelig in Richtung des Koalitionspartners SPD. Auch eine Veränderung des Demonstrationsrechts sei mit ihrer Partei nicht machbar. Eine Demonstration wie die der Hisbollah am vergangenen Samstag auf dem Ku’damm möge zwar ärgerlich sein, müsse aber hingenommen werden. Ähnlich hatte sich zuvor auch der grüne Innenpolitiker Wolfgang Wieland geäußert. Der Staat, so Wieland, könne dirigierend nur in Ausnahmefällen eingreifen. WERA

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