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CDU kriegt Angst vor dem Wahrheitsausschuss

Wahlkämpfer Roland Koch drängt zur Jagd auf „rot-grüne Wahllügen“ – Angela Merkel sieht sich schon als Gejagte

BERLIN taz ■ Überzeugte Jäger reden anders. Zwar hat die Unionsfraktion sich gestern Abend auf einen Untersuchungsausschuss verständigt, um die rot-grüne Regierung als angebliche Wahlbetrüger durchs Land zu treiben. Doch just die Partei- und Fraktionsvorsitzende sieht das fröhliche Halali mit gemischten Gefühlen. Angela Merkel hatte gestern nach der CDU-Präsidiumssitzung vor allem eine Botschaft für übereifrige Christdemokraten parat: Lasst uns die Hatz bloß nicht zu sehr aufblasen!

Merkel, die für sich in Anspruch nimmt, „vom Ende her zu denken“, hat offenbar ernsthafte Zweifel, ob der Schaden eines solchen Ausschusses den Nutzen für die Union nicht bei weitem überwiegt. „Sie hat von Anfang an die Bedenken gehabt, auf die die meisten Journalisten erst vier Wochen später gekommen sind“, bestätige CDU-Vize Wulff der taz. Was Wulff, der in Niedersachsen die SPD-Regierung stürzen will, nicht sagt: Profitieren könnten von dem „Wahrheitsausschuss“ (Wulff) vor allem er selbst und sein Parteifreund aus Hessen, Ministerpräsident Roland Koch. In beiden Bundesländern sind am 2. Februar Landtagswahlen, da sind medienwirksame Ermittlungen gegen rot-grüne Wahlversprechen allemal hilfreich. Was Wunder, dass zuerst Koch und nicht die Doppelvorsitzende Merkel den Untersuchungsausschuss gefordert hat – angeblich mit tatkräftiger Unterstützung von Edmund Stoiber und Friedrich Merz.

Zum Problem wird der Ausschuss für die Union erst nach dem 2. Februar – und könnte so vor allem der Berliner Oppositionsführerin das Leben schwer machen. Die CDU könnte in der Öffentlichkeit rasch als Partei der Nörgler dastehen, die ihre Niederlage vom Herbst 2002 auch 2003 oder 2004 noch nicht überwunden hat. Bereitwillig erzählte Merkel darum gestern von „Fragestellungen“, die im Präsidium zur Sprache kamen. „Wollt ihr den Wahlkampf verlängern?“, habe es da geheißen. Und die CDU-Chefin fragte in der Pressekonferenz rhetorisch: „Nützt der Ausschuss der Union bis zum 2. Februar und schadet er danach?“ Pflichtgemäß gab sie zwar ein Nein zur Antwort, doch arbeitet sie schon an der Schadensbegrenzung.

Zu diesem Zweck möchte Merkel vor allem die Dauer des Ausschusses begrenzen. „Wir werden ihn von uns aus nicht ausdehnen“, kündigte sie gestern an. Auch CDU-Wahlkämpfer Wulff plädierte dafür, die Veranstaltung „kurz und bündig“ über die Bühne zu bringen – nach dem 2. Februar nützt die Untersuchung weder ihm noch Koch.

Keine überzeugende Antwort haben die Christdemokraten bisher auf die Frage, warum SPD und Grüne just dann die Ausschussarbeit einstellen sollten, wenn sie ihnen zugute kommt. Die Union möchte die Obersünder Gerhard Schröder und Hans Eichel möglichst rasch vorladen, womöglich noch vor Weihnachten. Danach aber will Rot-Grün diverse CDU-Größen für Kohls Versprechen der „blühenden Landschaften“ grillen.

Gut möglich, dass Merkel darum im Ausschuss auf eine gedämpftere Tonlage setzt, als Koch sie sich wünscht. Sie entsendet mit Peter Altmaier einen ihrer alten Loyalisten als Obmann in das Gremium. Der drohte der Koalition zwar gestern Ministerrücktritte an. Doch obwohl auch seine Fraktionschefin findet, Rot-Grün habe im Wahlkampf getrickst, formulierte sie gestern das Ziel der Untersuchung beinahe als Versöhnungsangebot an die Koalition: „Wenn wir uns zum Schluss in guter Einsicht darauf einigen können, dass sich das nicht wiederholt, dann hat dieser Untersuchungsausschuss seinen Zweck erfüllt.“ PATRIK SCHWARZ

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