: Unärztliche Ärzte dringend gesucht
Die morgige Innenministerkonferenz steht vor einem neuen Problem: Der reibungslosen Abschiebung ungewollter Asylbewerber steht nicht etwa Pro Asyl im Wege, sondern der Einspruch von Ärzten, die die Abzuschiebenden untersuchen
von LUKAS WALLRAFF
Zum ersten Mal seit der Wahl treffen sich morgen die Innenminister aus Bund und Ländern zu ihrer Herbstkonferenz in Bremen. Gastgeber Kuno Böse (CDU) ist schon ganz aufgeregt. Die Hansestadt werde „für zwei Tage ein Zentrum deutscher Innenpolitik“, freut sich der Bremer Senator. Wie zu erwarten, hat Böse die „Bedrohungslage durch den islamistischen Terrorismus“ ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Fast so wichtig wie ein besserer Katastrophenschutz ist dem Gastgeber aber auch eine Lösung von „Problemen bei der Rückführung von Ausländern“.
Dabei geht es nicht etwa um die Forderungen von Menschenrechtlern nach einem Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge. Die Wünsche von „Pro Asyl“ zählen im Kreis der Innenminister traditionell wenig. Hinter der kryptischen Andeutung von „Problemen“ verbirgt sich ein handfester Konflikt mit einer mächtigen Berufsgruppe, deren Argumente auch die Ordnungspolitiker von CDU und SPD nicht einfach gleichgültig beiseite wischen können: den Ärzten.
Zum Entsetzen der Minister sträuben sich viele Mediziner gegen den Wunsch der Politik, bei Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern lediglich die „Flugreisetauglichkeit“ der Betroffenen zu überprüfen – und sich nicht mit langen Untersuchungen etwa zum psychischen Zustand der Abzuschiebenden aufhalten. Besonders engagiert wehrt sich die hessische Landesärztekammer, weil auf dem Frankfurter Flughafen besonders viele Abschiebungen abgewickelt werden müssen – und weil das hessische Innenministerium besonders starken Druck ausübt. In einem Rundschreiben vom Mai dieses Jahres, das der taz vorliegt, wies das Ministerium die Ausländerbehörden des Landes ausdrücklich an, „nur um die Feststellung der Flugreisetauglichkeit, also die Transportfähigkeit auf dem Luftweg, zu bitten“. Weiteren Bemerkungen der Ärzte müsse nicht allzu viel Beachtung geschenkt werden: „Der bloßen Flugreisetauglichkeit dürfte eine posttraumatische Belastungsstörung in aller Regel nicht entgegenstehen.“
Dieser Erlass stehe „in krassem Widerspruch zur Auffassung der Ärzteschaft“, kritisiert der Menschenrechtsbeauftragte der hessischen Landesärtekammer, Ernst Girth. Schließlich heißt es in den offiziellen Grundsätzen der Ärztekammer: „Eine Untersuchung ausschließlich auf Flugtransportfähigkeit ist aus ärztlich-ethischer Sicht nicht möglich.“ Neben der Beurteilung der unmittelbaren Flugreisefähigkeit seien vom Arzt „stets auch die Schwere einer Erkrankung sowie die Behandlungsmöglichkeit der bestehenden Leiden im aufnehmenden Land zu berücksichtigen“. Die internen Regeln für hessische Mediziner wurden bereits vor zwei Jahren verabschiedet – und zeigen offenbar Wirkung. „Die Mehrheit der Ärzte hat sich an die Grundsätze gehalten“, stellt Girth fest.
Genau das verdrießt den hessischen Innenminister Volker Bouffier (CDU). Es habe sich „eingebürgert, dass die ärztlichen Gutachten weit über die Flugtauglichkeit hinausgehen“, sagte sein Sprecher der taz. Die ausführlichen ärztlichen Berichte stellten die Ausländerämter „natürlich vor Probleme“. Ärgerlicherweise gehe aus den Gutachten „oft nicht klar hervor, ob eine Flugreisetauglichkeit besteht“. Stattdessen verwiesen Ärzte häufig auf Suizidgefahren oder äußern andere Bedenken. Für den Sprecher des hessischen Innenministers stellt sich deshalb sogar die Frage, „ob man dann generell noch abschieben kann“. Hessen erhofft sich auf der Innenministerkonferenz Beistand von den Kollegen, „um diesen Dissens mit den Ärzten aufzulösen“. Probleme mit den SPD-geführten Ländern erwartet Hessen nicht. Bouffiers Sprecher weiß: „Die Innenministerkonferenzen werden meistens von einheitlichen Meinungen geprägt, gerade bei solchen Fragen.“
Auch in Nordrhein-Westfalen denkt man laut darüber nach, die Bedenken der organisierten Ärzteschaft zu umgehen. Im Gespräch ist ein eigener „Ärzte-Pool“, der direkt bei den Behörden angesiedelt werden soll. Möglicherweise brauche man „spezialisierte Ärzte, die dafür entsprechend geeignet sind“, heißt es aus dem nordrhein-westfälischen Ministerium. Besonders geeignet, weil man staatlichen Ärzten leichter vorschreiben kann, auf ganzheitliche Untersuchungen zu verzichten? „Leider ist es etwas schwerer, dienstrechtlich oder strafrechtlich an diese Kollegen heranzukommen“, sagt Ernst Girth von der hessischen Ärztekammer. „Ich kann nur in der Öffentlichkeit den Kollegen sagen: Tut es nicht, es ist unärztlich.“
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